4500 Kilometer legt die MS Albatros auf ihrer Fahrt von Bremerhaven bis nach Gotland zurück. Zwölf Tage lang erlebten 240 Leser des „Reise Journals“ die Ostsee sowohl von ihrer rauen und stürmischen, als auch von ihrer schönen Seite.
Ostsee.
Man muss schon genau hinsehen, um Morten Arne Hansen als Kapitän des Kreuzfahrtschiffes zu erkennen. Er trägt eine schwarze Uniform, anstatt der weißen Kapitänsmütze bedeckt eine Baseballkappe den kurzrasierten Kopf des unscheinbaren Mannes. Doch wenn Hansen die MS Albatros zu den dramatischen Klängen von „Conquest of Paradise“ aus dem Hafen von Tallinn manövriert, dann hat das etwas Majestätisches.
Später thront der 52-jährige Norweger im Kapitänssessel auf der Brücke des Schiffes. Durch die großen Glasfenster hat er einen Panoramablick auf die ruhige Ostsee. Die Albatros nimmt Kurs auf St. Petersburg – den Höhepunkt der Galakreuzfahrt des Reise Journals.
Unzählige Prachtbauten und Kathedralen mit prunkvoll vergoldeten Zwiebeltürmen drängen sich im Kern der russischen Zarenstadt, allen voran der Winterpalast. Der einstige Wohnsitz von Zar Peter I. beherbergt heute die Eremitage – eines der größten Museen der Welt. 19 Jahre, das sagen Forscher, bräuchte man, um jedes der drei Millionen Kunstwerke zu betrachten.
Windstärke sieben und meterhohe Wellen auf See
So viel Zeit haben die Passagiere der MS Albatros nicht. 850 Gäste hatten zu Beginn der zwölftägigen Reise in Bremerhaven eingeschifft, darunter knapp 240 Leser des Reise Journals. Mehr als 4500 Kilometer zu den „Perlen der Ostsee“ liegen vor der MS Albatros. Die Route führt durch den Nord-Ostsee-Kanal nach Polen, Litauen, Lettland, Estland, Russland, Finnland, Schweden und Gotland.
Kapitän Hansen wirft einen Blick auf den Bordcomputer, dann steckt er sich eine Zigarette an. Die letzten Nächte waren anstrengend. „Mindestens Windstärke sieben hatten wir auf der Überfahrt von Polen Richtung Litauen“, sagt der Norweger mit rollendem „R“ – sein Markenzeichen aus der ARD-Serie „Verrückt nach Meer“, deren dritte Staffel bald auf der Albatros gedreht wird. Auch wenn die Ostsee mit einer Tiefe von gerade einmal 55 Metern im Schnitt gemeinhin als „Teich“ gelte – „starker Seegang ist zu dieser Jahreszeit nicht selten“, sagt der Kapitän.
Beinahe haushoch schlagen die Wellen in der dritten Nacht der Galakreuzfahrt gegen den Bug des Schiffes. Draußen pfeift der Wind, peitscht Meerwasser gegen die Fensterscheiben. Die Nacht auf See ist sternenklar – und rau. Seefahrer-Romantik? Wohl kaum. Schwerfällig kämpft sich die MS Albatros über die stürmische Ostsee. Von Polen in Richtung Litauen, immer nach Nordosten. Bei einer Windgeschwindigkeit von 80 Stundenkilometern geht es vorbei an der Kurischen Nehrung, deren weiße Sanddünen zu den höchsten Europas zählen.
Marie-Helene und Jürgen Henning kann der Sturm nicht schocken: „Seegang gehört zu einer Kreuzfahrt dazu“, das weiß die 63-jährige Bottroperin aus Erfahrung. Zum dritten Mal sind sie und ihr Mann mit der Albatros unterwegs. „Noch wackeliger war es vor zwei Jahren bei Windstärke neun vor der schottischen Küste“, erinnert sich Jürgen Henning.
Noch am Nachmittag war von dem Sturm, der später unerbittlich über das Schiff fegt, nichts zu ahnen: Vor einem strahlend blauen Himmel leuchteten da die bunten, kunstvoll restaurierten Patrizierhäuser am Langen Markt der polnischen Hafenstadt Danzig. Brach sich das Sonnenlicht in den orangefarbenen und grünen Schmuckstücken der Bernstein-Händler, deren Verkaufsstände sich in der Altstadt wie Perlen aneinander reihen. Von der Zerstörungskraft des Zweiten Weltkrieges sieht man Danzig heute nichts mehr an.
Einfahrt in litauischen Hafen zu gefährlich
Zurück auf dem Schiff steht nur wenige Stunden später fest: Den Zielhafen im litauischen Klaipeda wird die MS Albatros nicht erreichen. Zu gefährlich wäre die Einfahrt gewesen, erklärt Kapitän Hansen den Passagieren per Lautsprecherdurchsage. „Unsere Fracht ist die teuerste, die es gibt. Wir befördern schließlich Menschen“, sagt er. Und: „Wenn das Wetter nicht mitspielt, gehen wir kein Risiko ein.“ Stattdessen nimmt die Albatros direkten Kurs auf Riga.
Am Tag besticht Lettlands Hauptstadt ihre Besucher mit 800 liebevoll restaurierten Jungstilhäusern. Bei Nacht glänzt das regennasse Kopfsteinpflaster in den schmalen Gassen der Altstadt im Licht der Straßencafés. Ein Anblick, der die Passagiere für den verpassten Stopp in Litauen entschädigt.
„Was vor Gericht und auf dem Meer passiert, entscheidet allein Gott“, sagt Ingrid Schürmann und lacht. Aber deshalb auf eine Kreuzfahrt mit der Albatros verzichten? Für die 72-jährige Bochumerin kommt das nicht in Frage. Wie viele der Gäste gehört sie schon fast zum Bord-Inventar. Es ist ihre siebte Reise mit der Albatros.
Seit ihr Mann nicht mehr lebt, kehrt Ingrid Schürmann allein auf das Schiff zurück. Jahr für Jahr. „Anfangs musste ich mich dazu durchringen. Aber jetzt bin ich froh über diese Entscheidung“, sagt sie. Denn durch die familiäre Atmosphäre an Bord seien enge Freundschaften entstanden.
Während die MS Albatros unbeirrt weiter nach Nordosten schippert, verliert die Zeit bei einem guten Buch an Deck, bei ausgelassenen Karaoke-Abenden oder Besuchen im Bordkino völlig an Bedeutung. Doch irgendwo zwischen Riga und der estländischen Hauptstadt Tallinn ist es plötzlich Herbst geworden. Ein frischer Wind weht durch die malerischen Gassen der Altstadt, die seit 1997 zum Unesco-Weltkulturerbe zählt. Die Blätter der Bäume sind schon bunt gefärbt. Und an der Stadtmauer bieten die Souvenirverkäufer jetzt handgestrickte Schals, Mützen und Handschuhe im Norwegermuster feil.
Magische Momente in der Zarenstadt St. Petersburg
So interessant die Ausflüge an Land auch sind – wie viele Passagiere freut sich Marie-Helene Henning auf die Rückkehr an Bord der Albatros. „Als ich das große Schiff zum ersten Mal sah, war ich skeptisch“, gibt sie zu. „Aber als uns dann der Kapitän mit den Worten ,Willkommen zu Hause’ begrüßte, waren meine Zweifel weggeblasen.“ Kein Wunder, denn die Besatzung um Kapitän Hansen setzt auf den persönlichen Kontakt mit den Passagieren. „Ich versuche, mir täglich die Zeit zu nehmen, mich mit jedem Gast wenigstens eine Minute zu unterhalten“, sagt der charismatische Norweger. Immer ist das freilich nicht möglich. Denn als Kapitän wird Hansen auf der Brücke gebraucht.
Auch jetzt steht er dort. Die Nacht ist vorbei, der Tag hat noch nicht angefangen. Hansen steuert die MS Albatros an der Insel Kronstadt vorbei durch die mächtige Newa in den Hafen von St. Petersburg. Langsam erhebt sich die aufgehende Sonne am Horizont; bringt die goldene Kuppel der weltbekannten Isaak Kathedrale in der Ferne zum Erstrahlen. Ein magischer Moment.
Zufrieden blickt Morten Arne Hansen über die Brücke. Stille. Nichts als das gleichmäßige Plätschern der Wellen gegen den Rumpf des Schiffes. Für wenige Minuten. Bis die Millionenstadt und mit ihr die Albatros erwacht.