Veröffentlicht inReise

Ferien im Nirgendwo – Unterwegs im idyllischen Altwarp

Ferien im Nirgendwo – Unterwegs im idyllischen Altwarp

AltwarpDrop2.jpg
Im Örtchen Altwarp-Siedlung in Mecklenburg-Vorpommern gibt es keine Geschäfte, keine Kneipen, keinen Handyempfang. Kein Ort zum Urlaub machen? Doch!

Essen. 

Die Sonne scheint aufs Kopfsteinpflaster. Vor den wenigen Häusern, die entlang der Straße stehen, pumpen Rasensprenger Wasser auf die prächtigen Blumen in den Vorgärten. Sattrote Dahlien, Rosen und Lilien. Ein Nachbarsjunge rumpelt mit seinem Tretauto über die Straße: Rush Hour in Altwarp-Siedlung – einem Örtchen, in dem nicht nur kaum Autos fahren, sondern in dem es auch sonst nicht viel gibt. Keine Geschäfte, keine Bäckerei, keine Kneipe. Nichts. Noch nicht mal Handyempfang. Kein Ort zum Urlaub machen, mögen viele jetzt denken. Aber sie irren. Ferien im Nirgendwo – ein Plädoyer.

Altwarp-Siedlung ist Teil der Gemeinde Altwarp in Mecklenburg-Vorpommern, Deutschlands nordöstlichstem Punkt auf dem Festland. Der Ort am Stettiner Haff hat gerade einmal knapp 500 Einwohner, einen Tante-Emma-Laden, in dem es auch sonntags Brötchen gibt, und mehrere kleine, aber feine Fischlokale, deren Wirte unter anderem Aal und frischen Haff-Lachs servieren. Die Siedlung liegt rund drei fahrradfreundliche Kilometer vor dem eigentlichen Altwarp. Fünf Straßen, knapp 60 Wohnhäuser, Bungalows und Gästedatschen. Eine davon wird für zwei Wochen mein Feriendomizil sein.

Der Blick über den Stacheldraht fasziniert

Das eiserne Gartentörchen quietscht zur Begrüßung leise. Die knallgelbe Hütte ist klein, aber ausgestattet mit Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und Bad. Majestätische Geweihe hängen an den Wänden. Tierschädel, ausgestopfte Eichhörnchen, Igel, Vögel. „Gefällt’s Ihnen?“, fragt der Vermieter eifrig. Mein erster Gedanke: Mach’ ein Foto, das wird ein Renner bei Facebook! Dass mein Handy vorerst nutz-, weil netzlos bleiben wird, weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Der Mann, der mit einem herzlichen Lächeln durch das Häuschen führt, heißt Manfred Fleck. 80 Jahre alt, Altwarper, leidenschaftlicher Jäger. Er hat die kleine Datsche eigentlich für Freunde und Familienmitglieder gebaut, die oft zu Besuch kommen. Mittlerweile vermietet er das Häuschen aber auch. Familien aus Sachsen und Berlin haben sich im Gästebuch verewigt, auch ein Paar aus England hat darin von seinem Urlaub geschwärmt – und versprochen, wiederzukommen.

Manfred Fleck lebt seit 1952 in Altwarp-Siedlung. „Damals stand hier noch kein einziges Haus“, erzählt er bei einem Besuch auf seiner Terrasse. Der gebürtige Sachse wurde als Soldat der Nationalen Volksarmee (NVA) nach Altwarp abkommandiert. Der ehemalige Stützpunkt liegt mitten im Wald, nur wenige Schritte von der Siedlung entfernt, die in den 50er-Jahren für rund 70 Soldaten und deren Angehörige gebaut wurde. Die Familien wohnen noch immer hier, einige vermieten Zimmer, Gästehäuser oder Bungalows an Touristen. Die ehemaligen NVA-Gebäude sind heute verfallen und umzäunt. Das Betreten des Geländes ist streng verboten. Eindringliche Warnschilder halten davon ab, nach Löchern im Zaun zu suchen. Doch selbst der Blick über den Stacheldraht fasziniert. Hier war also früher die Flakartillerie stationiert, hier haben die Soldaten der Kraftfahrzeugkompanie ihren Dienst verrichtet und hier wurden die Raketen gelagert, die im Kalten Krieg für so viel Angst gesorgt haben.

Ich fühle mich wie eine Entdeckerin und spüre dabei, wie der Alltagsstress von mir abfällt. Meine Gedanken kreisen nicht um die Arbeit, um E-Mails, die ich eventuell bekommen könnte. Was gibt’s Neues in den sozialen Netzwerken? Mir doch egal! Das Handy liegt fast vergessen in der Nachttisch-Schublade. Die einzigen Termine, die ich hier mache, sind für die Sonnenuntergänge reserviert, die ich von den Altwarper Binnendünen aus genieße.

Die Ostseebädersind überlaufen

Am nächsten Morgen geht es an den Strand. Ja, das Örtchen hat eine eigene, kleine Badebucht mit Sandstrand, rund zehn Minuten zu Fuß durch den Wald entfernt. Auf dem Weg dorthin hört man Wildschweine grunzen, huschen Rehe durchs Unterholz und sonnen sich Blindschleichen auf dem Waldweg. Die Wasseroberfläche ist spiegelglatt an diesem windstillen Tag. Das Wasser des Haffs hat nur einen geringen Salzanteil, erst nach 20 bis 30 Metern steigt es höher als bis zu den Knien – ganz anders als auf den Ostseeinseln, die man vom Haff aus sehen kann. Und wo Eltern kleiner Kinder wegen der Wellen und der Strömung kaum stressfrei am Strand liegen können.

Apropos Ostseeinseln: Usedom ist ein beliebtes Ziel für einen Tagesausflug, auch Rügen ist mit dem Auto erreichbar – bis nach Binz sind es rund 160 Kilometer. Ich nehme die Fahrt auf mich, doch für einen Besuch scheint mich der Aufenthalt in Altwarp schon zu sehr entschleunigt zu haben: Die berühmten Ostseebäder sind überlaufen, Touristen schieben sich durch die Straßen, Handys klingeln, Kameras klicken. In Massenabfertigung werden Besucher in Busse verfrachtet, um sie zu den berühmten Kreidefelsen zu fahren. Für das Erinnerungsfoto steht man Schlange.

Zurück in Altwarp-Siedlung ist die Welt wieder in Ordnung: Die Kohle knistert auf dem Grill, Freunde sitzen beisammen, spielen Karten und freuen sich auf Würstchen und Maiskolben. Die Grillen zirpen, der Himmel ist voller Sterne. So kann der Urlaub vom Alltag weitergehen.