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Durch Wälder und Auen mit dem Hausboot auf dem Saarkohlekanal

Durch Wälder und Auen mit dem Hausboot

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Vier Kapitäne unterwegs auf dem Saarkohlekanal: Für Angler und Freunde von ruhigen Wasserstraßen ist der alte Industrieschifffahrtsweg genau das richtige. Ein Erfahrungsbericht über legale Schleuser, Rotaugen und Meutereien.

Hesse. 

Spaß hat Franck nicht an diesem Nachmittag, zu viele Freizeitkapitäne, die gleichzeitig ablegen wollen. Lustlos schlurft der junge Mann an Bord und erklärt zunächst die Tabuzonen auf unserem Hausboot: Anker, Motor, Gasflasche – überall gilt: Finger weg! Selbst die Rettungswesten, original verpackt in einem Schränkchen, so verrät Francks Schulterzucken, sind überflüssig: Die Kanäle im Elsass sind 1,80 tief, da können schiffbrüchige Männer locker noch stehen. Männer wie meine Kollegen David, Michael, Benjamin und ich.

Die Pumpe für die Toiletten bedarf tatsächlich eines Selbstversuchs, dann steckt auch schon der Schlüssel neben dem Steuerrad und der Dieselmotor beginnt zu schnurren. Einmal ablegen und anlegen, befiehlt Franck. Ich drehe also eine Runde im Hafenbecken von Hesse, und weil Franck vorsagt, was zu tun ist, schaukeln wir schließlich bald wieder sicher am Kai. Das war’s, signalisiert Franck – und lässt uns etwas ratlos zurück.

Sechs Tage auf dem Saarkohlekanal

Sechs Tage liegen vor uns, zweimal 21 Schleusen und 130 Kilometer. Sechs Tage, in denen wir die Kapitänsaufgaben teilen und unsere Erlebnisse in Logbüchern festhalten werden. In Höchstgeschwindigkeit tuckern wir in die Abendsonne, überholen immerhin schwarz-weiß gefleckte Kühe. Nach zwei Stunden erreichen wir Gondrexange, wo wir abbiegen in den Saarkohlekanal und zur ersten Nacht festmachen.

Der Saarkohlekanal. Ein grauer Name, der Industrie verspricht, Lärm und Gestank. 1866 wurde die 63 Kilometer lange Wasserstraße vom Saarland in Richtung Strasbourg eröffnet, um Europas reichhaltigste Kohlevorkommen für Frankreichs Industrie zu erschließen. Heute, 140 Jahre später, liegt die Flussschifffahrt danieder. Und der Saarkohlekanal hat Bedeutung und jeglichen Kohle-Geruch verloren. Nur noch Hausboote durchkreuzen die Wälder und Auen zwischen Gondrexange und der Grenzstadt Sarreguemines. Ein Geheimtipp unter Freunden stiller Naturerlebnisse.

Vor den Wäldern und Auen stehen die Teiche, Hunderte haben die Fürsten des Landes hier angelegt. Nun dienen sie als Wasserreserve für den Kanal. Und Hobbyanglern wie Benjamin als Revier. Für 30 Euro hat er das Recht erworben, im Trübgrünen zu fischen: nach Zander, Hecht, Wels oder Aal. Doch anstatt anzubeißen, knabbern sie bloß die Weißbrotköder vom Haken. „Ich habe keine Ahnung vom Angeln“, vertraut er seinem Logbuch an, nachts träumt er von „großen Karpfen. Sie blubbern mich an, vielleicht lachen sie mich aus“. David entwickelt derweil Hochseeallüren: „Da ich die Mannschaft in Hinblick auf den nächsten Tag schonen wollte, verzichtete ich darauf, Wachen abzustellen“, schreibt er, vermutlich nach einem allerletzten Glas Rotwein.

Meuterei für den verschlafenen Kapitän

Am nächsten Morgen geraten wir in die Hände einer legalen Schleuserbande. Zwei flinke Jungs begleiten uns bis Mittersheim, um 15 Schleusen mit eisernen Hebeln zu öffnen und zu schließen. Dann übernimmt eine gelbe Fernbedienung ihre Arbeit. Mittersheim. Nie im Traum wären wir darauf gekommen, Mittersheim zu besichtigen. Nun tun wir es: Ein unscheinbares Dorf am Fuße der Vogesen, 600 Einwohner, zwei Bäcker, eine Post, ein Wasserturm. Wer auf dem Kanal reist, würdigt des Hinsehens, was am Ufer liegt.

Am nächsten Morgen geht es weiter hinab in Richtung Saarland. David verschläft den Start und wittert in seinem Logbuch „Meuterei. Während ich schlummerte, legte die Mannschaft eigenmächtig ab.“ Den Wäldern folgen Auen. Bei Sarralbe führt der Kanal auf einem gewaltigen Aquädukt über das Flüsschen Albe hinweg. Dann schmiegt sich mit einem Mal die Saar an ihren eigenen Kanal. Kurz vor Schleuse 22 und Sarreguemines, beschließen wir umzukehren. David wendet die Calypso 1 „in einem heiklen Manöver“, wie er notiert. Später sammeln er und Michael Holz für ein Lagerfeuer. Benjamin verfüttert weiter Weißbrot an die Kanalfauna.

Am nächsten Morgen liegt Nebel auf Fluss und Kanal. Ich steuere vom Deck aus, genieße, wie feine Tröpfchen auf meine Wangen schlagen, tauche mit der Calypso 1 zurück in die grünen Tunnel des Laubwaldes. Als erste Sonnenstrahlen den Nebel zerstäuben, erreichen wir wieder die Welt der Schleuser, wo uns anstelle der beiden Jungs deren schwarz gelockte Kollegin Hélène empfängt. „Kaum ist man fünf Tage auf hoher See, schon reicht eine Schleuserin aus, die gesamte Mannschaft verrückt zu machen“, notiert Michael. Doch alle Versuche, Hélène an Bord einzuladen, scheitern.

Ein hysterischer Aufschrei – Rotauge hat angebissen

Was Hélène entgeht, ist Benjamins hysterischer Aufschrei, als plötzlich doch fingergroßes Zappeln an seiner Angel hängt: Ein Rotauge hat sich erbarmt und den Baguette-Köder geschluckt. Was folgt, ist eine Mischung aus Einsicht und Mitleid: zu groß die Mannschaft und zu klein der Fisch. Rotauge darf weiter leben. Zur abendlichen Tagliatelle serviert unser Küchenchef den Seelachs aus dem Supermarkt.

Auch an der letzten Anlegestelle lese ich aus der Odyssee vor, den zwölften Gesang, an dessen Ende der Held in der letzten Nacht heimgeführt wird, „gen Ogygia, wo Kalypso, die schön gelockte, die hehre melodische Göttin, huldreich nahm mich auf.“ Unsere Calypso entließ uns tags darauf in den Hafen von Hesse, wo uns unsere Autos erwarteten. Und Asphalt. Und der Lärm von Straßenverkehr.