Essen auf Rädern: Dinner im Wohnmobil ist neuer Trend
Öffnen dürfen sie nicht, aber Außer-Haus-Verkauf ist erlaubt: Immer mehr Gastronomen servieren ihre Köstlichkeiten auf dem Parkplatz nebenan.
Essen.
Hubert wird heute 72 Jahre alt. „Zum Geburtstag, haben wir uns gedacht, machen wir was Besonderes“, erzählt seine Frau Dorothea (70) aus Essen-Heisingen: ein Wohnmobil-Dinner. Und so sitzen die beiden an einem Märzabend in ihrem Gefährt auf dem Parkplatz des Restaurants „Bootshaus Ruhreck“ in Essen-Steele und studieren die Speisekarte.
„Wir gewinnen dieser doch nicht ganz so tollen Zeit doch noch etwas Schönes ab“, sagt sie. Als Hauptgerichte wählen sie schließlich Deichlamm und Schweinefilet mit Pfeffersoße.
Not macht erfinderisch
Wie Hubert und Dorothea machen es gerade viele in Deutschland, die Lust auf einen Restaurantbesuch haben – und ein Wohnmobil nutzen können. Viele informieren sich dabei auf einer Facebook-Gruppenseite über die Angebote. Gegründet wurde sie im November 2020 von der Camperin Silja von Garn aus dem baden-württembergischen Renchen. Die 52-jährige Industrie-Kauffrau wollte mit der Gruppe anfangs nur die Idee publik machen, um die lokale Gastronomie zu unterstützen. Die Idee sprach sich jedoch schnell herum und wurde überregional bekannt. Die Gruppe hat inzwischen fast 38.000 Mitglieder.
Eine Online-Marketingagentur ist jetzt mit an Bord. Sie betreibt im Internet eine Wohnmobil-Plattform , auf der Interessierte über eine Karte die Restaurants finden können. Inzwischen haben sich mehr als 900 Gastronomen aus ganz Deutschland eingetragen, die ein Wohnmobil-Dinner anbieten. Die meisten gibt es in den Ballungsräumen entlang der Rheinschiene. In ländlichen Regionen sind die Angebote spärlicher, vor allem östlich von Berlin.
Am Wochenende teils ausgebucht
„Es sind welche dabei, die haben 10 bis 30 Wohnmobile am Wochenende“, sagt von Garn. Andere hätten nur ein oder zwei. Nicht alle Gäste kämen mit Wohnmobilen. In einem Fall hätten die Gäste einen Tisch und zwei Stühle auf einen Auto-Anhänger mit Plane gestellt. „Ich habe auch welche mit Pferdeanhänger gesehen – mit Heizlüfter, schön dekoriert.“
Hans-Werner Scherer ist der Inhaber vom „Bootshaus Ruhreck“. „Man hat ja nix zu verlieren“, habe er sich gedacht, als er sich Mitte Dezember auf der Plattform eintrug. „Und dann ging es steil bergauf“, berichtet der 62-Jährige. „Am Wochenende sind wir manchmal ausgebucht, in der Woche ist es eher beschaulich.“ Der normale Außer-Haus-Verkauf „to go“ sei zuvor nicht gelaufen – er habe alle Mitarbeiter entlassen müssen. Als das Wohnmobil-Dinner begann, habe er sie dann zum Teil wieder einstellen können. Und jetzt? „Wir können dadurch leben. Wir können arbeiten. Wir sind beschäftigt.“ Rund 20 Wohnmobile passen auf den Parkplatz in Restaurant-Nähe.
Wohnmobil-Dinner sind coronakonform
Und das Ordnungsamt? „Schon zwei Mal war jemand da. Alles gut. Alles ist ganz coronakonform“, sagt Scherer. Eine Sprecherin der Stadt Essen betont, dass man keine Probleme bei Wohnmobil-Dinner-Angeboten sehe, „solange die Coronaschutzverordnung eingehalten wird“. Derzeit verzeichnet die Plattform-Karte fünf Anbieter allein in Essen.
Die Einhaltung bestimmter Regeln wird auch von Gruppen-Begründerin von Garn angemahnt. So sei es „ganz wichtig, dass das Ordnungsamt informiert wird“, sagt sie. Auf der Plattform-Seite finden sich weitere Regeln wie etwa die, dass der Anliefernde niemals das Wohnmobil betreten darf. Umgekehrt verlassen auch die Gäste ihr Gefährt nicht. Nach dem Essen fahren die Fahrzeuge wieder davon. „Eine Übernachtung ist absolut tabu“, betont von Garn.
Keine Dauerlösung
Thorsten Hellwig vom Gastgewerbeverband Dehoga NRW glaubt, dass Wohnmobil-Dinner „in der Nische funktionieren“ kann. „Solche Angebote können im Einzelfall eine Lösung sein, sind aber nicht geeignet, das Gastgewerbe aus dem Schlamassel zu bringen.“ Nötig sei weiterhin eine valide Öffnungsperspektive für das gesamte Gastgewerbe.
Hubert und Dorothea haben inzwischen den Hauptgang auf ihrem mit frischen Osterglocken liebevoll dekorierten Tisch, heiß serviert unter zwei Wärmeglocken. „Ich habe einen wunderschönen Tag gehabt“, sagt Hubert. Dass das Ganze aber keine Dauerlösung ist, wissen die beiden auch. Hätten sie im ersten Lockdown vor einem Jahr noch die Ruhe genossen, fehlten mittlerweile der direkte Kontakt und die Nähe zu anderen, merkt Dorothea an. „Immer nur Abstand zu halten, macht auf Dauer die Seele nicht satt.“ (dpa)