Die Kultur der Samen zwischen Tradition und Moderne
Das friedvolle und stolze Volk der Samen, die Ureinwohner Lapplands, lebt traditionell in enger Verbindung zu Rentieren. In der heutigen Zeit ist es schwierig, allein von der Rentierzucht zu leben. Dennoch blühen die alten Traditionen langsam wieder auf und verbreiten sich.
Norwegen.
Das Feuer brennt lichterloh in dem großen Lávvu-Zelt, die dicken, weichen Rentierfelle wärmen die Füße. Geräuchertes Fleisch an der Decke verströmt einen salzigen Geruch. Anne-Louise Gaup kniet nieder im Rauch des Lagerfeuers. Ein heiliger Ort, an dem sie, gemäß samischer Tradition, nur links vorbeigehen darf. Lächelnd schneidet sie ein Stück der scharfen Rentierwurst ab. Die tiefblauen Augen strahlen Wärme, ein offenherziges Gemüt aus.
Aber auch viel Stolz: Und so verschränkt die junge Samin in der blau-rot bestickten Kofter-Tracht und den Mokassins aus Rentierfell ihre Arme, erhebt die Stimme und fängt an zu joiken. Ein hoher, melodischer Gesang. Es ist ein Joik über ihre Mutter, eine Rentierhirtin. „Den ersten hab‘ ich mit sechs von meiner Großmutter geschenkt bekommen.“ Anne-Louises Augen strahlen. In ihren Joiks geht es oft um Liebe – „aber auch um Hass und Trauer.“
Ein Leben mit Rentieren und Joiks
Meistens singt die junge Medizinstudentin auf den Feldern, wenn sie ihre Rentiere anlocken will, „dann kommen sie wie Hunde angerannt“. Noch immer hütet ihre Familie im Sommer Rentiere in der kargen Landschaft der norwegischen Finnmark, treibt die Herden im April an die Küste, im Herbst wieder zurück zu den Ebenen im Landesinneren. Gegenseitig passt man in den Familienbanden auf die graziösen Tiere auf. Ein Nomadenleben. Die 23-Jährige liebt es. Auch wenn ihr Internet samt Facebook und eine warme Dusche fehlen, wenn sie umherziehen.
Schon seit dem 16. Jahrhundert halten sich die Lappen in dem Land der langen Winter und fruchtbaren Sommer Rentiere. Heutzutage treiben sie sie in der acht Monate dauernden Winterzeit aber nicht mehr mit Schlitten, sondern Schneemobilen zusammen. Bis Mitte der 60er dauerte es noch Monate, bis sich Familien endlich wiedersahen. „Rentiere und Joiks: das ist meine Identität“, sagt Anne-Louise. Sie wuchs mit den Liedern und der einzigartigen Kultur der Samen auf: „Aus den Rentieren entstanden Erde, Flüsse, Bäume.“
Samische Kultur blüht wieder auf
Eine Kultur, ein Glaube, der eng mit der Natur verbunden ist. So braucht die moderne Samin auch keine großen Städte: „Ich will in meiner Heimat bleiben und später einmal als Rentierdoktor arbeiten.“ Sie ist es gewohnt, hart anzupacken. Neben ihrem Handy steckt das vom Großvater geerbte Messer: „Unsere Tradition sagt, dass man sich dreimal während seines Lebens damit verletzt.“
Und muss sie denn eines Tages einen Rentierhüter heiraten, damit das Familiengeschäft nicht ausstirbt? „Vor 30 Jahren war das schon noch so“, schmunzelt sie. Aber heute könne sie genauso gut einen Afrikaner heiraten. „Mein Bruder wird das Geschäft übernehmen.“ Mehr als die Hälfte der 30.000 norwegischen Samen lebt in Finnmark, eine Minderheit. Und doch wird die samische Kultur in den letzten Jahren wieder mehr gefördert: Kinder lernen wieder ihre Muttersprache, zu Hause und in der Schule.
Sitzstreiks bei Minus 30 Grad
Doch die meisten Familien können nicht mehr allein von der Zucht leben, viele haben Extra-Jobs. So auch Tore Turi. Vor zwölf Jahren verkaufte der samische Häuptling all seine Tiere und bot fortan Flusstouren auf dem Alta mit Besuch eines Friedhofs der Ureinwohner an. „Wenn du im Rentier-Geschäft gut verdienen willst, muss du hart arbeiten“, sagt der 55-Jährige rückblickend. Tore lebt in Maze, der größten samischen Siedlung in Finnmark, wo die Hälfte der Bewohner Rentiere hütet. In den 70ern Schauplatz eines wichtigen Eckpunktes in der Geschichte der Samen.
Die norwegische Regierung beschloss, ein Kraftwerk am waldreichen Alta zu bauen und Maze im Stausee verschwinden zu lassen. „Der Wasserpegel hätte zwei Meter über unserer Kirchenspitze gestanden.“ Tore und die anderen Bürger Mazes wehrten sich mit Sitz- und Hungerstreiks – bei Minus 30 Grad Kälte. Das Dorf blieb, der Staudamm wurde niedriger gebaut. Von nun an kämpften Samen mit einem neuen Selbstbewusstsein für ihre Rechte. So wurde auch das Joiken in der Schule wieder erlaubt – als eigenes Schulfach.
Und dann ertönt erneut die samtweiche Stimme von Anne-Louise im Rauch des Lagerfeuers, ein wahrer Balsam für die Seele.