Auf Nostalgie-Skiern das verschneite Zell am See erkunden
Beim „Nostalski“ in Zell am See bleibt die Zeit stehen: Auf historischen Holzbrettern und in Kniebundhosen fahren die Rennläufer einmal im Jahr bei einem Spaß-Wettbewerb die Piste hinunter. Das Event wurde 2003 zum 75-jährigen Bestehen der ersten Seilbahn auf der Schmittenhöhe ins Leben gerufen.
Zell am See.
So gerade noch passen die Skier aufrecht in die moderne Gondel. Um fast einen halben Meter überragen die hölzernen Spitzen ihre Besitzer, die in Lodenjanker und Kniebundhose, Norwegerpulli und Keilhose zwischen all den Skifahrern und Snowboardern in bunter Funktionskleidung in Richtung Gipfel fahren.
Die Skifahrer mit den langen Brettern und dem unpraktischen Wollzeug sind ein eindeutiges Zeichen: Es ist „Nostalski“–Zeit auf der Schmittenhöhe oberhalb von Zell am See. Seit 2004 kommen hier jedes Jahr am Faschingssamstag Ski-Nostalgiker zusammen, um auf historischen oder originalgetreu nachgebauten Holzbrettern gegeneinander anzutreten – entweder im traditionellen „Nebn’a’nont“-, also Parallel-Slalom, oder im „Fernlauf“, der vom Gipfel der Schmittenhöhe bis hinunter in die Zeller Innenstadt führt.
Nostalski hält die Geschichte der Region hoch
Das Spaß-Spektakel, das es in ähnlicher Form in vielen Wintersportgebieten der Alpen gibt, wurde 2003 ins Leben gerufen, um das 75-jährige Bestehen der ersten Seilbahn auf die Schmittenhöhe zu feiern. In früheren Jahren waren schon runde Jubiläen der Bahn, die als erste ihrer Art im Salzburger Land 1928 den Betrieb aufgenommen hatte, so begangen worden.
„Geschichte hat für uns einen Wert“, sagt Erich Egger, Vorstand der Schmittenhöhebahn. In einem alten Skipullover seines Vaters sitzt er im Berghotel Schmitten, in dem schon Kaiser Franz Joseph übernachtet hat. Am Nachmittag steht für Egger noch ein Start beim Slalom an. „Wir haben 150 Jahre Tourismus, eine der ältesten Traditionen in Österreich“, sagt er. „Wir machen das Rennen nicht, um zusätzliche Gäste ranzubringen.“
Auf 13.000 Einwohner kommen 15.700 Gästebetten
Blickt man auf die Zahlen, scheint die Region das auch gar nicht nötig zu haben: Knapp eine halbe Million Gäste urlaubte in der Saison 2011/2012 in Zell am See und Kaprun, auf 13.000 Einwohner kommen 15.700 Gästebetten. Beim Start des „Fernlaufs“ herrscht an diesem Faschingssamstag nicht gerade großer Zuschauerandrang.
Die Zahl der Rennläufer – an die 50 – übersteigt die der Zaungäste, was allerdings auch mit dem Wetter zusammenhängen könnte: zehn Grad unter Null bei leichtem Schneefall. Die Nostalgie-Skifahrer setzen sich indes gut gelaunt den Elementen aus, kaum einer trägt einen Schal, die wenigen teilnehmenden Damen schützt höchstens ein alter Fuchspelz.
Die ersten Skifahrer kamen vor 120 Jahren
In seinen ersten Jahrzehnten spielte sich der Zeller Tourismus allein im Sommer ab. Ab den 1870er Jahren kamen die ersten Sommerfrischler aus den Städten, um den See, die Luft und den Panoramablick von der Schmittenhöhe zu genießen, wie Horst Scholz erzählt. Scholz ist Bezirksarchivar, Leiter des Stadtmuseums und eine Art wandelndes Gedächtnis von Zell.
Präperierte Pisten gab es bis in die 1960er Jahre nicht
1893 bestiegen erstmals zwei Kitzbüheler die Schmittenhöhe auf Skiern – heute Alltag für Skitourengeher, damals eine kleine Sensation.
Als Kaiser Franz Joseph bei einem Besuch im darauf folgenden Sommer davon hörte, soll er die Pioniere mit einem anerkennenden „mutig, mutig, die Herren“ bedacht haben. Er selbst bevorzugte den Pferdewagen – anders als seine Frau Elisabeth, die den Gipfel acht Jahre zuvor selbst erklommen hatte. Bis man damit begann, Massen von Skifahrern auf die Schmittenhöhe zu bringen, dauerte es noch Jahrzehnte. Zwar wurde in Zell schon 1905 ein Wintersportverein gegründet, wie vielerorts in Österreich zu dieser Zeit. „Aber die Leute waren ein bissl misstrauisch“, sagt Bezirksarchivar Scholz. Erst nachdem sich das erste Hotel auf Wintergäste eingestellt und die Zimmer mit Öfen ausgestattet habe, „sind langsam alle anderen aufgesprungen“.
Stadtmuseum mit Kostbarkeiten und Kitsch
Skifahren blieb indes etwas für die Sportlichen: Präparierte Pisten gab es auf der Schmittenhöhe bis in die 1960er Jahre nicht, und die mehr als zwei Meter langen Holzbretter hatten mit den heutigen, leicht drehenden Carvern so gut wie nichts gemein. „Das ist wie ein Tanz auf rohen Eiern“, beschreibt der Zeller Bürgermeister Hermann Kaufmann das Fahrgefühl auf den hundert Jahre alten Skiern seines Großvaters. „In den Lederschuhen muss man jeden Zeh richtig bewegen.“ Beim diesjährigen Fernlauf benutzt er allerdings wendigere Bretter: Die blauen Original-Skier, auf denen Toni Sailer 1956 bei Olympia in Cortina d’Ampezzo Gold holte.
Der unerfahrene Flachlandtiroler sollte sich beim „Nostalski“ also aufs Zuschauen beschränken. Den Rest des Jahres kann er die Zeller Skigeschichte im Stadtmuseum nacherleben. In dem bis unter das Dach vollgepackten mittelalterlichen Turm finden sich auf fünf Etagen Kostbarkeiten und Kitsch, von Skiern aus 100 Jahren Wintersportgeschichte über eine mobile Toilette des Kaisers bis hin zu einem Schlitten, auf dem die niederländische Königin Wilhelmina 1937 in Zell gerodelt ist.
Sehnsucht nach einer Zeit, die es nie gegeben hat
Horst Scholz hat aus dem Fundus des Museums einen der ersten Hartschalen-Skischuhe hervorgekramt, über seinem Kopf baumeln Generationen lederner Vorgängermodelle. Scholz weiß zu jedem der Stücke eine Geschichte zu erzählen, doch von der Verklärung der alten Zeiten hält er nichts – etwa davon, dass heute Hütten allerorten mit alten Skiern und Skischuhen dekoriert werden.
Das sei eine Sehnsucht nach einer Zeit, „die es nie gegeben hat“, urteilt der alte Zeller. „Die Zeiten waren hart.“ Die Menschen in seiner Stadt hätten früher Eisblöcke aus dem See verkauft oder im Bergbau gearbeitet, um zu überleben. „Damals musste man das Gold im Berg suchen, heute liegt es auf dem Berg.“ (dapd)