Auf der griechischen Insel Samos steht die Zeit still
Große Hotelresorts und Clubanlagen sucht man auf der griechischen Insel Samos vergebens. Die kleine Mittelmeerinsel hat sich vielfach noch ihr ursprüngliches Flair bewahrt, alte Handwerkskünste haben bis heute Tradition. Interessierte und neugierige Urlauber können hier so einiges entdecken.
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Ein lautes Hämmern hallt durch die Straßen des Bergdorfes Drakéi auf der griechischen Insel Samos. Wer neugierig dem Geräusch folgt, trifft auf Georgios Kiassos. Georgios Kiassos ist Bootsbauer. Wie sein Vater, Onkel, Großvater und Urgroßvater auch. 300 Meter hoch und mitten in den Bergen, das Meer zwar im Blick, jedoch weit entfernt, hat der Beruf des Bootsbauers seit Generationen Tradition in der Familie Kiassos.
Samos ist eine Insel für Individualurlauber. Große Hotelresorts und Clubanlagen gibt es hier noch nicht. Insofern hat sich die kleine Mittelmeerinsel vielfach ihr ursprüngliches Flair bewahrt, alte Handwerkskünste haben bis heute Tradition und können von neugierigen und interessierten Urlaubern entdeckt werden.
70 Einwohner und ein Bootsbauer
Wer den „Wilden Westen“ – also das Gebirge rund um den 1433 Meter hohen, wild-kahlen Kerkis – erkunden möchte, muss im Urlaubsort Votsalákia starten. Denn bislang führt keine Straße um das Gebirge herum. Nach abenteuerlicher und kurvenreicher Fahrt geht’s im Bergdorf Drakéi nicht weiter. Rund 70 Einwohner leben hier, dazu zählen auch Georgios Kiassos, seine Frau Stella und die beiden Kinder Vaggelis (15) und Eleftheria (12).
Im Dorf scheint die Zeit stehen geblieben zu sein: Die älteren Männer treffen sich im Schatten unter Platanen und trinken ihren Kaffee oder Ouzo, während der Pfarrer des Dorfes die Fremden auf der Straße begrüßt und ins Kafeineon bittet. Die Gassen liegen ruhig im Sonnenlicht und Wäsche weht im Wind. „Aber das Leben hier ist beschwerlich“, erzählt Georgios Kiassos. „Für die Kinder gibt es keine Schule und die jungen Leute wandern ab.“
Georgios Kiassos hat den Bootsbau-Betrieb 1989 von seinem Onkel übernommen, der diesen seit 1960 führte und einst von seinem Vater übernommen hatte. Hoch oben in den Bergen baut die Familie Fischerboote, „kaikí“ genannt, die in die gesamte Ägäis verkauft werden. Und wenn die Boote so weit fertig sind, dass sie zu Wasser gelassen werden können, werden sie halt zum Meer gebracht.
Bau eines Bootes dauert fünf Monate
Georgios Kiassos ist einer von fünf Bootsbauern, die auf Samos (noch) das traditionelle Handwerk betreiben. Neben dem 40-Jährigen arbeitet ein weiterer Bootsbauer in Drakéi und jeweils einer in Agios Issídoros, Pythagório und Karlóvassi. Derzeit baut Kiassos in seiner Werkstatt unter freiem Himmel am Ortseingang von Drakéi an einem etwa neun Meter langen Fischerboot. „Mitunter ist so ein Boot aber auch 14 Meter lang“, erklärt der Bootsbauer. Auf dem Grundstück vor seinem Haus ist das Boot aufgebockt. Es riecht nach frischem Holz. Das holt Kiassos aus dem nahegelegenen Pinienwald. „Aber inzwischen dürfen wir immer weniger Holz für den Bootsbau aus dem Wald holen“, erklärt er und kritisiert den inzwischen weit verbreiteten Bau von Kunststoffbooten. „Zudem wird sehr viel Wald abgeholzt, der für den Bau von Gebäuden benutzt wird.“
Etwa fünfeinhalb Monate braucht Georgios Kiassos für den Bau eines Fischerbootes, mitunter helfen Freunde ohne Bezahlung mit. Wichtigstes Werkzeug ist dabei natürlich der „skeparni“, der Hammer. Damit schlägt Kiassos die Nägel aus Olivenholz in Boden und Rippen des Bootes. Das Pinienholz ist sehr schwer und harzreich und etwa 30 bis 50 Jahre alt. „Es muss gut durchgetrocknet sein“, erklärt der Fachmann. Obwohl das Boot noch lange nicht fertig ist, ziert bereits ein hölzernes Kreuz die „plori“, den Mund des Bootes. „Damit auch beim Bau alles gut geht“, so Kiassos.
Ein eigenes Boot ist viel zu teuer
Er selbst fertigt lediglich den Rumpf in der traditionellen Holz-Bauweise. „Elektrik und Maschinerie werden anschließend von Fachleuten eingebaut“, sagt der Bootsbauer und erzählt stolz, dass er bereits 50 Boote gebaut hat, die in der gesamten Ägäis rund um Kalymnos, Santorini, Kreta und Leros unterwegs seien. Ein eigenes Boot besitzt er nicht: „Das ist viel zu teuer.“ Und sein Sohn Vaggelis weiß jetzt schon, dass er mit der Tradition brechen will: Vaggelis möchte keine Boote bauen, sondern auf ihnen als Kapitän auf hoher See unterwegs sein.
Auch in Pythagório, dem schmucken Städtchen an der Südküste der Insel mit dem Namen des antiken Philosophen und Mathematikers Pythagoras, hat sich noch eine kleine Oase traditionellen Handwerks bewahrt: In einer Gasse abseits des Touristenrummels zwischen Hafen und Logothétis-Burg betreibt Yannis Loulourgas seinen nahezu unscheinbaren Laden mit griechischen Musikinstrumenten. In der kleinen Werkstatt im Keller fertigt er Bouzoukis, Tzouras und Baglamas.
Sein erstes Musikinstrument baute der gebürtige Samiote 1980 während seines Aufenthaltes im amerikanischen San Diego. „Einen Lehrer hatte ich nie, ich hab mir alles selbst beigebracht“, erzählt der 64-Jährige. 1983 kehrte Loulourgas nach Samos zurück. Seine Musikinstrumente verkauft er mittlerweile in ganz Europa an professionelle Musiker und natürlich an Touristen. „Aber es ist ein hartes Geschäft“, schränkt Loulourgas ein. Er baut immer gleichzeitig an fünf Instrumenten. „Und das fünfte ist immer das, das besonders gut ist.“
Musik kommt von Herzen
Die Instrumente werden aus Palisander- und/oder Walnussholz gefertigt. „Das Holz muss möglichst weich sein, damit harte und hohe Frequenzen keine Chance haben“, erklärt der Instrumentenbauer. Mitunter sei ein Instrument bereits nach drei Tagen fertig, es könne aber auch drei Monate dauern.
Natürlich spielt Yannis Loulougas leidenschaftlich gern selbst seine Instrumente. Wenn er zur Bouzouki greift und die vier Saiten zum Klingen bringt, leuchten seine Augen: „Ganz Griechenland steckt in dieser Musik.“ Loulourgas spielt ohne Noten, einfach so. Mal emotional, mal temperamentvoll, aber immer melodiebetont. „Diese Musik gibt es seit Jahrhunderten“, erklärt der 64-Jährige. „Sie ist sehr facettenreich und kommt von Herzen.“