Der Travelers‘ Century Club hat 317 Ziele. Dietmar Deppe fehlt noch ein Häkchen
Der Pazifik hat den Vulkan verschluckt, nur die Kraterränder ragen noch heraus. Eine wunderschöne Lagune gibt es hier, umspült von türkisblauem Wasser, und faszinierende Korallenriffs. Für Taucher muss das kleine Atoll ein Paradies sein. Für Dietmar Deppe ist es der Albtraum. Er ist weder interessiert an der Unterwasser-Welt von Wake Island noch will er dort in der Sonne brutzeln. Er will nur einmal den Fuß auf die Pazifik-Insel setzen. Dann wäre seine Sammlung komplett.
Deppe ist Mitglied im Travelers` Century Club (TCC), einem Gesellschaftsclub für weit gereiste Menschen, und als solcher hat er eine Lebensaufgabe zu erfüllen: Alle 317 Länder der TCC-Liste besuchen. Und sei es nur für zwei Minuten, für eine Berührung mit dem Fuß. Wake Island ist das letzte Puzzle-Stück, das dem Erlangener noch fehlt. Wake Island abhaken und in den erlauchten Kreis derer aufsteigen, die hinter jedem Ziel ein Häkchen haben. Derzeit sind’s gerade 14.
Seit fünf Jahren konzentriert sich der Pensionär nur noch auf die kleine Pazifik-Insel und erleidet einen Rückschlag nach dem anderen. „Ich hatte drei Mal eine feste Zusage, dorthin zu kommen. Und jedes Mal wurde die Fahrt im letzten Augenblick abgesagt.”Mit US-Veteranen wollte er landen und mit einer Reederei, deren Schiffe dort nur einen kurzen Zwischenstopp einlegen. Das Problem ist, dass man Wake Island nicht einfach im Reisebüro bucht. Es gibt keine einheimische Bevölkerung und die 6,5 Quadratkilometer sind offensichtlich dem US-Militär unterstellt, das keine Touristen duldet. „Es haben nur wenige geschafft und in der Regel nicht mit erlaubten Mitteln. Einer vom TCC hat einfach eine Notlandung gemacht, weil er offiziell nicht mehr genug Sprit hatte.” Nach einem Hurrikan könne die Insel seit zwei Jahren nicht mehr angeflogen werden, so der „offizielle Sprachgebrauch”. Aber daran glaubt Deppe nicht: „Es sind Leute auf der Insel, die versorgt werden müssen.”
„Wir könnten locker ein kleines Flugzeug nach Wake Island vollmachen, so hat sich das mittlerweile aufgestaut”, erklärt Klaus Billep, Vorsitzender des TCC, der in den 50er Jahren in den USA gegründet wurde. Sein Wake Island liegt im Indischen Ozean und heißt Diego Garcia. Auch diese Insel wird ausschließlich vom US-Militär genutzt. Es hat lange gedauert, aber irgendwann hat Billep ein Schiff chartern können, kurz angelegt, einmal den Boden berührt und weg war er.
Die exotischen Ziele ergeben sich aus den Regeln des Clubs: In den Augen des TCC gilt jedes Fleckchen Land als eigenständig, wenn es sich politisch, geographisch oder ethnologisch von anderen unterscheidet. Eine Insel, die mehr als 200 Meilen (322 Kilometer) vom Festland entfernt liegt, zählt beispielsweise als eigenständiges Reiseland, und so kommt die Karibik auf knapp 30 Ziele, Nordamerika nur auf sechs.
Im TCC wird aufgenommen, wer zumindest 100 Länder abgehakt hat. „Das ist alles Ehrensache. Wenn Sie erklären, dass Sie da waren, akzeptieren wir das”, sagt Billep, der vor Jahrzehnten von Deutschland in die USA ausgewandert ist und dort den Club leitet. Die Mitglieder sind ehrlich, davon ist er überzeugt. Und wenn es ans Eingemachte geht, dann greift sein oberstes Kontroll-Instrument: seine Erfahrung.
Wenn jemand alle 317 Ziele für sich reklamiert, stellt Billep ganz spezielle Fragen und leitet Nachforschungen in die Wege: Die Beamten der Insel Pitcairn registrieren jeden Touristen namentlich. Billep verlangt auch mal Kreditkartenabrechnungen, die beweisen sollen, dass sich das TCC-Mitglied in einer Destination aufgehalten hat. Oder er fragt unvermittelt am Telefon, mit welcher Reederei St. Helena angesteuert wurde, wo nur alle paar Wochen ein Schiff hält. „Ich habe noch keinen beim Schummeln erwischt.”
TCC-Einsteigern empfiehlt Billep in erster Linie Rundreisen: „Zwei, drei Wochen Westafrika – da kriegt man schnell 15 Länder dazu.” Sein Club sei aber kein Reisebüro, jeder müsse sich selbst um die Organisation kümmern. 2000 Mitglieder zählt der TCC, die meisten „im besseren Alter”, zum Reisen gehörten schließlich Zeit und Geld. Regelmäßig meldeten aber weit gereiste Eltern ihre kleinen Kinder an.
Wenngleich die Mehrheit der TCC-Mitglieder in den USA wohnt, so gibt es eine wachsende Zahl in Europa. Der Brite Nicholas Whitehead (41) lebt seit 18 Jahren in der Schweiz, er arbeitet als Übersetzer für die UN in Genf. 2003 ist der dem TCC beigetreten. Etwa 150 Länder der TCC-Liste hat er bereist, so genau kann er das gar nicht sagen, und er muss auch den Kopf schütteln, wenn er an all die Mitglieder denkt, die nur eins im Sinn haben: alle Ziele abhaken. „Mir ist das nicht so wichtig, ich will auch nirgendwo hinfahren, wo niemand lebt außer ein paar Pinguinen.”
Reisen ist sein Hobby, den TCC schätzt er vor allem als Informationsquelle, denn der Newsletter ist gespickt mit Infos und Erfahrungsberichten der anderen. Am meisten beeindruckt war Whitehead vor zwei Jahren von seiner Reise nach Turkmenistan. Überall war noch der Personenkult des kurz zuvor verstorbenen Herrschers Türkmenbasy sichtbar: Der ließ sich goldene Statuen bauen, einen 20-Kilometer langen Gedächtnis-Weg durch die Berge schlagen und benannte die Monate nach seinen Verwandten.
Whitehead hat keine Familie, ist jeden Urlaubstag und fast jedes Wochenende auf Reisen. Auch er hätte schon mehr Ziele gesammelt, würde er nicht „immer wieder dorthin zurückkehren, wo es schön ist”. Kürzlich war er wieder in Berlin, zum sechsten Mal. Aber zum Treffen der europäischen TCC-Mitglieder nach London hat er es noch nie geschafft.
Die Oitners aus München sind dort regelmäßig. Die beiden gelten mit 272 Zielen als eines der reiselustigsten Paare des Clubs. Vor ein paar Jahren haben sie vom TCC erfahren. „Anfangs dachte ich, die ganze Sache ist doch Unsinn. Aber dann kommt eines zum nächsten”, erklärt Rudolf Oitner, der mittlerweile im Ruhestand ist.
Dann hat ihn und seine Frau doch der Ehrgeiz gepackt. „40 Ziele fehlen uns noch, aber jetzt wird’s verdammt schwer.” Er kennt die Geschichten von Diego Garcia und Co. und auch die Gefahren, die in der Welt lauern. Das Paar ist auch schon mal kurzzeitig entführt worden, für Oitner aber kein Grund aufzugeben: „Wir werden sicherlich noch einige Ziele schaffen.” Wake Island reizt ihn besonders. Allerdings nicht wegen der Korallen.