In Wuppertal kommt unter den Hammer, was Bahnkunden liegen lassen. Doch die Fundsachenversteigerung ist Kommerz und nichts für romantische Kofferkäufer. Hier arbeiten Bahnbeamte als Krämer des verlorenen Schatzes und verwerten alles, was liegen geblieben ist.
Wuppertal.
Jetzt preist der Auktionator 15 Reiserucksäcke an, zu einem Bündel geschnürt. Mit 20 Euro beginnt er. Schnell gehen Hände in die Luft, 21 Euro, 22, dann reckt einer drei Finger in die Höhe: 30 Euro. Weiter geht es, bis kaum eine Minute später 54 Euro in der Kasse der Bahn landen. Ware gegen Bares..
Während die Mitarbeiterin kassiert, stürmt ein Dutzend Männer nach vorn: Da liegt eine Plastiktüte voller alter Handys zu Füßen des Auktionators. Reinhold Koslowski mahnt noch: „Nicht auspacken“. Dann gehen wieder die Hände nach oben, und kurz darauf hat jemand 20 alte Handys für 320 Euro gekauft.
Gepäckstücke mit Geschichte und Geheimnis? Gibt’s hier nicht
Es folgt ein Bündel Regenschirme, ein Sack voll Kameras, sechs Kilo Scheine und Münzen in nicht mehr umtauschbaren Währungen. Hunderte Euros landen in der Bahnkasse für Koffer mit Herrenoberbekleidung, gemischt, für 20 Handys, ein Dutzend Regenschirme. Die Rentner vom Bahnsozialwerk, die heute zu Besuch sind, schauen sich verwundert an. Vielleicht hatten sie auf Schnäppchen gehofft im ehemaligen Wartesaal des Hauptbahnhofs Wuppertal, wo die Beinahe-Börsen-Bahn noch Bundesbahn-Odeur verströmt: dunkle Holzvertäfelung, schwungvolles Messinggeländer – aber am Boden biegt sich das Resopal.
Hinter dem Pult mit dem rot-weißen DB-Keks bringt der Mann in Bahnuniform weiter im ICE-Tempo unter den Hammer, was in Zügen und Bahnhöfen des Landes gefunden und nicht abgeholt wurde.
Wer als Kofferhoffer kommt und glaubt, Gepäckstück mit Geschichte, Geheimnis und einem kleinen Schatz abstauben zu können, kann die Rückfahrt buchen. Fundsachen sind Ware. 15 Mitarbeiter sortieren jährlich 70.000 Fundstücke zu auktionsfähigen Paketen.
Dabei werden die Sachen regelrecht zerpflückt: liegende Kleidung und hängende Kleidung sortiert, durchforstet, ob sich nicht Hinweise auf den Verlierer finden. Verderbliche Lebensmittel haben die Fundstellen vor Ort hoffentlich schon entsorgt.
Fundstücke werden anonymisiert
„Das ist schon immer spannend, da reinzugucken und zu überlegen, wer da wohl unterwegs war und das verloren hat“, räumt Udo Feld ein, der Leiter des Zentralen Fundbüros. Doch Fundstücke werden strikt anonymisiert. Ausweise vom Friseur, der Krankenkasse und der Lottogemeinschaft landen zum Schreddern in einer grauen Tonne.
250.000 Fundsachen werden jährlich erfasst – doch nicht für alle heißt die Endstation Wuppertal. Vieles wird wieder abgeholt, anderes vor Ort entsorgt. „Bei einem Paar Socken muss man nicht lang überlegen“, sagt Feld. Und wenn Küchenherd oder Kühlschrank im Zug gefunden werden, ist das nicht gleich eine Fundsache: „Manche benutzen die Bahn zur Entsorgung“, bedauert Feld.
Auch Fahrräder werden vor Ort versteigert, der Transport wäre zu aufwändig. Dennoch stapeln sich in den Räumen der ehemaligen Bahndirektion sperrige Güter: Skateboards, Bohrhämmer und Gitarren, Zeichenbretter und Gebisse, Literatursammlungen und viele traurig guckende Kuscheltiere.
„Wir haben das alles in den letzten Jahren weiter professionalisiert“, erläutert Udo Feld. Seit 2000 wird zentral gesammelt, was an den 50 Fundstellen nicht binnen 14 Tagen abgeholt wurde. Wer später fragt, zahlt: Eine Fundsache von Wuppertal schicken zu lassen, kostet 35 Euro. Da wird es schnell zum Rechenexempel, ob der olle Rucksack samt Inhalt das noch wert ist.
Verschiebebahnhof für Second-Hand-Ware
Doch nicht alles landet in der allwöchentlichen Versteigerung. Die schönsten Stücke hat Udo Feld beiseite geschafft – zum Wohle der Bahn. In Düsseldorf, Schwerin, Freilassing und Nürnberg gibt es mehrmals pro Jahr weitere Versteigerungen. Was sonst in Bündeln und Paketen unterginge, wird gesondert angeboten: Maßkrüge für Freilassing bei München, ein Rettungsring fürs küstennahe Schwerin, elegante Kleidung für Düsseldorf. „Da kommen immer mehrere hundert Leute, da bekommen wir gutes Geld – und es macht Spaß“, sagt Feld und hebt einen kunstvoll verzierten Spazierstock in die Höhe: „Hier bekäme ich drei Euro“, sagt er. „In Düsseldorf an einem guten Tag sind es zehn.“
Auf der anderen Seite haben sich auch die Bieter professionalisiert. Kerle mit falsch herum sitzender Baseballkappe sprinten nach vorn, wenn Technik tütenweise unter den Hammer kommt. Ein beleibter Mann in Lederjacke sammelt ersteigerte Schirme ein und stopft 40 „I love Berlin“-T-Shirts im Neonlicht wieder in den Seesack zurück: ein Wartesaal als Verschiebebahnhof für Second-Hand-Ware.