Mittwoch begann in Düsseldorf der Terroristen-Prozess gegen einen 25 Jahre alten Mann aus Dinslaken, der sich in Syrien dem IS angeschlossen hat.
Düsseldorf.
So gar nichts hat dieser junge Mann äußerlich mit dem mutmaßlichen IS-Terroristen zu tun, der er noch vor gut einem Jahr gewesen sein soll. Der Bart ist ab. Nils D. ist glatt rasiert, hat die Haare kurz geschnitten, trägt eine modische Brille und die Jeans in lässiger Weite. Das Sporthemd unterm dunklen Blouson spannt über dem kleinen Bauchansatz: „Sie haben abgenommen“, stellt die Vorsitzende Richterin Barbara Havliza fest und Nils D. nickt. 15, 20 Kilo weniger seien es schon, seit er aus Syrien zurückgekehrt sei. Seit gestern wird gegen den jungen Mann aus Dinslaken wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht verhandelt. Durch ihn, den aussagebereiten Salafisten vom Niederrhein, könnten Justiz und Ermittlungsbehörden ungeahnte Einblicke in die Islamisten-Szene des Landes bekommen.
Der Anfang jedenfalls ist vielversprechend, auch wenn er die hartnäckige Vorsitzende des 6. Strafsenats nicht immer zufriedenstellt: „Herr D., ich sag jetzt mal, wie ich es sehe. Wenn es um die Vorgänge in Syrien geht, das ist weit weg, da sind Sie sehr genau. Aber wenn Sie beschreiben sollen, wer hier vielleicht heute noch dahinter steckt, bleiben Sie vage!“, mahnt sie den 25-jährigen Angeklagten während seiner ersten, drei Stunden dauernden Vernehmung.
Zuvor hatte dieser die Verlesung der Anklageschrift durch die Vertreterin der Bundesanwaltschaft, Carola Bittner, nahezu entspannt mitverfolgt. Die wirft ihm vor, dass er sich von Oktober 2013 bis November 2014 in Syrien dem „Islamischen Staat im Irak und Großsyrien“ angeschlossen habe. Er sei an Schusswaffen und Handgranaten ausgebildet worden, habe zeitweise einen Sprengstoffgürtel getragen und sei in einer Spezialeinheit, „Sturmtrupp“ genannt, zur Festnahme von IS-Deserteuren eingebunden gewesen. Er habe Wachdienste im Foltergefängnis von Manbidsch geleistet und einen zu Tode Gefolterten auf einer Müllkippe „bestattet“. Schließlich unterstützte Nils D. den IS mit 7000 bis 9000 Euro, indem er seinen Lebensunterhalt in Syrien zum Großteil selbst finanzierte.
Vater verlässt die Familie
Nils D. wird 1990 in Dinslaken geboren, in einer ganz normalen Familie mit zwei älteren Schwestern, beide Eltern sind berufstätig. Er war evangelisch, aber „Religion spielte in unserer Familie keine Rolle“, erzählt er. Er hat einen zwei Jahre älteren Cousin, Philip B., mit dem er sich „wie ein Bruder“ verstanden habe und dem er später in die Salafistenszene nachfolgen wird. Aber noch läuft alles normal, er ist ein mittelmäßiger Hauptschüler mit mittelmäßigem Abschluss, der Freundschaften „auch mit Muslimen“ pflegt, die aber „nicht sehr religiös waren“.
Doch als er 15 ist, verlässt sein Vater die Familie, er hat sich in die beste Freundin von Nils’ Mutter verliebt. Dann wird Nils selbst Vater einer kleinen Tochter. Die 16 Jahre alte Mutter möchte das Kind unbedingt bekommen. Nils D. fängt an zu kiffen, trinkt, vernachlässigt die Schule. Die Mutter bekommt den Jungen nicht in den Griff, „das hätte ich damals auch gar nicht zugelassen“, sagt Nils D.
Kleine Delikte kommen hinzu – Diebstahl, Beleidigung, Körperverletzung, als er mit 18 mit einem Kumpel Brötchen aus einer Bäckerei klaut und erwischt wird, ist es der Jugendrichter leid und verurteilt ihn zu acht Monaten Haft ohne Bewährung.
Zwei Jahre lang hängt Nils D. nur herum, schläft lange, kifft, trifft sich mit Freunden im Internetcafé, spielt, „macht Party“. Da ist er 19, 20 Jahre alt. Ein Jahr später, im August, am letzten Tag des Ramadan 2011, spricht er im Auto seines Freundes Mustafa die Formel, die ihn zu einem Moslem macht. „Ich habe sofort aufgehört zu kiffen und zu trinken“, sagt Nils D. „Aber wie geht das? Was ist dazwischen passiert?“ hakt die Richterin nach.
Nils D. bleibt unpräzise. Man habe einen Hassan kennengelernt, der sei älter und „sehr religiös“ gewesen. Der sei aus dem Dinslakener Stadtteil Lohberg gekommen, wo er sich mit weiteren Gleichgesinnten getroffen hätte. Dann sei auch Cousin Philip Moslem geworden und hätte ihm eines Tages die Wohnung verweigert, wo er sich mit einem Mädchen habe treffen wollen.
Philip hätte nur noch lose Kleidung getragen, sich einen Bart wachsen lassen und ständig über Allah gesprochen. Er, Nils, hätte sich immer mehr mit dem Thema beschäftigt, Videos im Internet geschaut und sich gedacht, „wenn es den Teufel gibt, dann gibt es auch einen Gott“. Er habe angefangen, den Koran zu lesen – „Warum eigentlich den Koran und nicht die Bibel?“, wirft die Richterin ein – schließlich habe er sich gesagt, „wenn ich schon Moslem werden soll, dann muss ich es auch richtig machen“ und sei konvertiert.
Fortan hat Nils D. einen neuen Freundeskreis, mit der radikalen Glaubensauslegung der Salafisten. Statt Jeans trägt man türkische Hosen, statt ins Internetcafé geht man nun in die Moscheen der Umgebung, statt Alkohol trinkt man Tee und hört sich Vorträge an über die Hölle, das Paradies und den Umgang mit der eigenen Mutter.
Der Ort, in dem sich der Verein mit dem verschleiernden Namen „Institut für Bildung“ trifft, ist eine Art Gemeindehaus über der Sparkasse in Lohberg, wo auch andere, ganz harmlose Organisationen ihre Versammlungsräume haben. Später, in Syrien, wird man sich „Lohberger Brigade“ nennen. „Ein Umstand, unter dem die Bürger des Stadtteils heute noch leiden“, bemerkt die Richterin.
Anscheinend wird der „Dschihad“, die Bereitschaft zum Kampf, immer mehr zum Thema, man will nach Mali, Wasiristan, Ägypten. In allen Ruhrgebietsstädten wird Geld gesammelt: „Das war ja einfach, für die armen Kinder in Syrien…“, sagt Nils D. Aber zunächst muss er ins Gefängnis, seine Jugendstrafe wegen des Brötchen-klaus absitzen.
Als er wieder herauskommt, ist die „Lohberger Gruppe“ bis auf wenige Mann geschrumpft, sie alle haben sich dem IS angeschlossen, sind über die Türkei nach Syrien. Auch Cousin Philip, mit dem Nils D. skyped. „Alles o.k. hier, du kannst ruhig kommen“, sagt dieser.
Also macht sich Nils D. auf den Weg, über die Türkei nach Syrien. Dass er überlebt hat, ist längst nicht selbstverständlich. Viele aus der Lohberger Gruppe sind auf der Strecke geblieben, so auch Cousin Philip, der sich so schwer verletzte, dass er nur noch als Selbstmordattentäter taugte.
Ob er Dinslaken als seine Heimat ansehen würde, fragt ihn die Vorsitzende Havliza. „Heute mehr als jemals zuvor“, antwortet Nils D. Der Prozess wird Monate dauern. Bei einer Verurteilung drohen Nils D. bis zu zehn Jahre Haft.