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Wenig Hilfe für Flüchtlinge gegen grausige Bilder im Kopf

Wenig Hilfe für Flüchtlinge gegen grausige Bilder im Kopf

Trauma-Ambulanz an der UNI-Klinik Essen.jpg
Foto: Jakob Studnar
Viele Menschen kommen traumatisiert nach Deutschland. Hilfe für sie ist schwierig: Es gibt eine allenfalls Notfallversorgung, keine echte Therapie.

Essen. 

Der kleine, grauhaarige Mann sitzt zusammengesunken auf seinem Stuhl. Es sind die Bilder, die ihn nicht schlafen lassen, erzählt er, und er greift sich ein Taschentuch und wischt sich die Tränen ab. „Ich habe Angst vor dem Einschlafen“, sagt er. Er fühle sich oft so leer und traurig. Hassan (Name von d. Red. geändert) ist vor einem Jahr aus dem Libanon gekommen. Dort hat er in einem Flüchtlingscamp gearbeitet. Bei einem Anschlag, der ihm galt, wurde sein Freund ermordet. Diese Bilder haben sich in sein Gehirn gefräst. Wie ihm muss es vielen, sehr vielen der Flüchtlinge gehen, die sich aus den Kriegen dieser Welt nach Deutschland gerettet haben, sagen Therapeuten. Es kommt viel Arbeit auf sie zu.

Grauenhafte Erlebnisse – die jahrzehntelang quälen

Menschen, die grauenhafte Dinge erlebt haben, quälen sich oft Jahre und Jahrzehnte mit den Erinnerungen. Die Bilder tauchen immer wieder vor ihrem inneren Auge auf, sie werden unkonzentriert, fahrig, manche sind aggressiv, andere depressiv, die meisten leiden an Schlaflosigkeit und Alpträumen. Die Bilder vermischen sich mit der Realität. Eine Traumafolgestörung nennen das die Ärzte. Nach dem Zweiten Weltkrieg litten viele Frontsoldaten darunter. Behandelt wurden die wenigsten. „Der war verschüttet“, raunte man, wenn sich ein Veteran absonderlich verhielt. Mit den Qualen blieben die allermeisten allein.

„Das ist eine normale Reaktionauf eine unnormale Belastung“

Heute tragen viele Flüchtlinge diese Last der Erinnerungen mit sich herum. Sie haben Gewaltexzesse, Bombardierungen, Vergewaltigungen selbst erfahren oder miterleben müssen. „Wir haben schon wesentlich mehr Anfragen. Aber im Vergleich zu der Zahl der Flüchtlinge sind es noch relativ wenige“, sagt Ulrike Schultheiss. Sie ist die Leitende Oberärztin der Trauma-Ambulanz des LVR-Klinikums in Essen, wo Menschen wie Hassan Hilfe finden. Erste Hilfe, muss man sagen. Drei, maximal fünf Sitzungen, in denen Therapeuten ihnen helfen einzuordnen, was in ihrem Kopf geschieht, in denen Ärzte ihnen versuchen klarzumachen, dass sie nicht verrückt sind. Die Bilder im Kopf – „das passiert immer dann, wenn ein Erlebnis so schlimm war, dass man es nicht aushalten kann“, sagt Fachärztin Dominique Zehnpfennig, die Therapeutin, in deren Zimmer Hassan sitzt. „Das ist eine normale Reaktion auf eine unnormale Belastung.“

Hassan rutscht auf seinem Stuhl herum. Eine Dolmetscherin übersetzt, was er leise erzählt. „Ich würde gerne Deutsch lernen“, sagt er, „aber ich kann nicht, ich kann mich nicht konzentrieren.“ Das kennt er nicht von sich, er hat Politikwissenschaften studiert, war in Italien und England, wo er sich mit den Sprachen leicht getan hat. Sprachmittler sind wichtig in diesen Sitzungen, sie müssen mehr sein als nur Übersetzer, sie müssen Kulturmittler sein. „Meine Leber brennt“, sagen manchmal Flüchtlinge aus dem arabischen Raum. Sie meinen damit nicht, dass sie Schmerzen, also ein körperliches Problem haben, sondern dass sie tieftraurig sind.

Hassan sagt auch, dass es früher noch schlimmer für ihn war, als er im Übergangsheim, wo er seit einem Jahr lebt, mit drei anderen auf dem Zimmer war. „Da konnte ich den Druck nicht rauslassen, jetzt kann ich nachts schreien.“

Dominique Zehnpfennig sagt ihm: „Sie müssen die Kontrolle über die Bilder erlangen.“ Sie rät Hassan, seine Sinne zu stimulieren, mit Gerüchen, mit dem Ertasten einer Gebetskette, durch festes Aufstampfen. Mehr kann sie nicht tun. „Das ersetzt natürlich keine ausführliche Psychotherapie.“

An die wird Hassan so schnell nicht kommen. „Eine Notfallversorgung wird für Flüchtlinge bezahlt, eine Psychotherapie nicht“, sagt LVR-Oberärztin Ulrike Schultheiss. Oder wenn, dann nur in Ausnahmefällen. Wer eine Aufenthaltsgenehmigung bekommt, der hat – theoretisch – das Anrecht auf eine Behandlung, wenn sie von der Kommune genehmigt wird, in der er lebt. In Einzelfällen haben Flüchtlinge bereits die Kostenübernahmen einer Therapie vor Gericht erstritten. Aber wer hat schon die Kraft für eine juristische Auseinandersetzung, wenn er krank ist?

Viele Flüchtlinge wissen nicht, dass es Hilfsangebote gibt

Die Therapeuten gehen davon aus, dass die Zahl der behandlungsbedürftigen Flüchtlinge drastisch steigen wird. Noch wissen viele Flüchtlinge gar nicht, dass es für ihre Probleme Hilfsangebote gibt, andere scheuen den Gang zum Arzt, weil psychische Probleme in ihren Herkunftsländern ein noch größeres Tabu sind als in Deutschland. „Es ist viel Aufklärungsarbeit notwendig“, sagt Ulrike Schult-heiss. Es wird viel zu tun geben.

Hassans Therapiestunde ist zu Ende. Ob er manchmal daran denke, sich umzubringen, hat ihn Dominique Zehnpfennig gefragt. Ja, hat er leise geantwortet. „Bitte versprechen Sie, sich zu melden, wenn diese Gedanken wiederkommen und zu stark werden“, sagt die Ärztin. Hassan nickt.