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Täglich 15 Möbelwagen – Landesarchiv zieht nach Duisburg

Täglich 15 Möbelwagen – Landesarchiv zieht nach Duisburg

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Duisburg14010298 Luftbild Foto: Hans Blossey
Ein Umzug der Superlative: Das Landesarchiv Rheinland wechselt die Heimstädte. 100 Regalkilometer gewordene Geschichte wandern aus Düsseldorf ins neue Gebäude am Duisburger Innenhafen. Seit 2008 wird der Umzug vorbereitet, seit Mitte Januar rollen jeden Tag 12 bis 15 Möbelwagen nach Duisburg.

Duisburg/Düsseldorf. 

Durchs Spitzdach regnet’s rein und der Wind drückt. Doch die Löcher zwischen den Dachziegelreihen sind so angebracht, dass man trotzdem von Duisburgs höchstem Gebäude nicht auf die Stadt gucken kann. Das Flachdach darunter soll dichthalten, damit das Landesarchiv niemals ins Schwimmen gerät. Wasser und die historischen Dokumente – der feuchte Alptraum der Archivare. Deswegen gibt es keine Sprinkleranlage, obwohl der mehr als 70 Meter hohe Turm mit Papier vollgestopft wird, so eng, dass Menschen die Rollregale zur Seite schieben müssen, wollen sie hinein.

Dass man die Archivalien in die Höhe stapelt, macht eine aufwändige Trägerkonstruktion erforderlich. Jeder Quadratmeter muss bis zu dreimal mehr Gewicht tragen als in normalen Gebäuden. Papier ist schwer – und wird auf bis zu zehn Regalbrettern in Kartons gestapelt, nummeriert und organisiert. Diesen fensterlosen Turm der Geschichte mit seinen sieben Brandabschnitten kann man nur durch Schleusen betreten. Und sollte es besser lassen.

Denn Menschen stören nur. Sie brauchen Licht und Luft und geben Körperwärme ab. Das verschlechtert die Archiv-Atmosphäre. Wir merken: Ein Archivar ist der natürliche Feind des Menschen – und bewahrt gleichzeitig sein Erbe.

Rund 100 Regalkilometer

Die Erinnerung im braunrot verziegelte Gedächtnis des Rheinlandes wird ab Mai auf rund 100 Regalkilometern am Duisburger Innenhafen zu Hause sein. Von der ältesten Urkunde fürs Kloster Kornelimünster – es ging Steuervorteile – über die Entnazifizierungsberichte bis zu jüngsten Unterlagen aus Schulen, Staatskanzleien und Standesämtern. 48 Kilometer Platz bleiben – für die Archivalien der nächsten 40 Jahre.

Viel Papier und Pergament, Filme, Disketten und Videos – Dinge, die bislang an sechs Orten in Düsseldorf und Brühl verstreut waren, werden in dem skandalumwitterten Bau zusammengetragen. Und das ist wörtlich zu nehmen. Wer das eine oder andere Buch besitzt und schon mal umgezogen ist, ahnt, was die Möbelpacker derzeit leisten. Wobei: Kraft allein genügt nicht, dieser Umzug braucht Köpfchen.

Vorbereitungen seit 2008

„Seit 2008 bereiten wir diesen Umzug vor“, erklärt Günter Drögeler vom Landesarchiv Rheinland. Und jetzt, seit Mitte Januar rollen jeden Tag 12 bis 15 Möbelwagen nach Duisburg. Bepackt mit Akten, Kartons und Filmdosen. Und jeder Transport ist ein kleines Wagnis. Weil alles das ans Licht gezerrt, angefasst, transportiert und bewegt wird, was eigentlich geschützt, gespeichert, bewahrt gehört.

Kein Wunder, dass das Land Spezialunternehmen gewählt hat, die mit klimatisierten Wagen den Transport bewältigen und zwischen die eigens geschreinerten Transportkisten noch eine Lage Schaumstoff packen. Alles, was hier umzieht, ist unersetzlich. „Und alles, was einmal falsch einsortiert wird, ist verloren“, sagt Drögeler. Wie will man etwas falsch einsortiertes je wiederfinden auf einer Regalstrecke von Emmerich bis Köln?

Also wird jede Kiste, jeder Karton sorgfältig beschriftet, ehe er verpackt wird. An jedem Regal hängt eine dreifache Checkliste: der Möbelpacker zeichnet ab, der Einräumer zeichnet ab und die Archivare kontrollieren, ob im Regal 04.1.128 Fach 8 wirklich die Kirchenbücher „Lobberich H 1849 bis Lobberich S 1860“ stehen.

Der Platz in den Regalen soll für 40 Jahre reichen

Beim Personenstandsarchiv des Rheinlandes geschieht zudem etwas, was Archivare ungern machen: Weil in Brühl die Bände dahin gesteckt wurden, wo noch Platz war, werden sie hier neu zusammengeführt: Geburten hier, Hochzeiten da, Sterberegister dort. Knifflig, aber besser für die Zukunft. Da hat 48 leere Regalkilometer Platz.

Bei den derzeitigen Zuwachsraten sollte das neue Gebäude für die nächsten 40 Jahre reichen. Zumal der Gesetzgeber den Aktensammlern enge Grenzen auferlegt hat. Nur 1,1 Prozent der Akten werden für die Nachwelt gesichert, die übrigen 98,9 Prozent werden geschreddert. Dem Archivar von heute und dem Historiker der Zukunft mag das Herz bluten. Am Ende aber gilt: Vergessen ist menschlich.