„Stirum“ oder „Stürum“? Es gibt Städte in der Region, deren Namen nicht einmal die Bewohner aussprechen können. Wir haben Experten um Rat gefragt.
NRW.
Grevenbruch, Grevenbroch – oder gar Grevenbreusch? Spätestens seit Horst Schlämmer alias Hape Kerkeling sind viele verwirrt: Wie heißt es denn nun richtig, dieses Grevenbroich? Auch andere Städtenamen lassen einen ratlos zurück – zum Teil selbst die Bewohner. Eine gebürtige Dortmunderin etwa ist sich nicht sicher: Ist sie vor kurzem nach Mülheim-„Stürum“ gezogen oder nach „Stirum“? Sie hat sich für ein Mittelding entschieden, sagt sie. Ein weich gesprochenes „Stüirum“ sozusagen.
„Tatsächlich wird es ,Stierum’ gesprochen, mit langem ,i’“, sagt Heinz Auberg. Der 85-Jährige ist in Styrum geboren und beschäftigt sich schon lange mit der Geschichte seines Heimatortes. „Der Name kommt aus dem Fränkischen, von ,Stiarhem’ oder ,Stierheim’.“ Wer das nicht wisse, sei ortsfremd, zugezogen – oder Journalist.
Die gute Nachricht: Wir sind nicht allein. „Aufgrund unserer hochdeutschen Aussprache ist ,y’ oft ein Problem“, sagt Heinz Eickmanns, Sprachforscher an der Uni Duisburg-Essen. „Wir sind geneigt, es als ,ü’ auszusprechen. In Ortsnamen ist es aber eigentlich immer ,i’.“ Leidensgenossen von Styrum sind übrigens das Schloss Dyk bei Düsseldorf und Haltern-Sythen.
Für Verwirrung sorgt aber nicht nur der vorletzte Buchstabe im Alphabet. Im Bochumer Radio etwa wirbt ein Möbelhaus für seinen Standort in „Leer“, das eigentlich „Laar“ heißt. Kein neues Phänomen, wie ein Eintrag im städtischen Heimatbuch von 1958 beweist: „Es müsste Laar gesprochen werden (…) Aber die gewohnte Aussprache wird nicht auszurotten sein.“
Ein Umstand, den Jürgen Werland nur zu gut kennt. Seit 20 Jahren lebt Werland in Duisburg-Baerl und stellt oft fest: „Viele Leute sprechen den Namen falsch aus, zum Beispiel in den Verkehrsnachrichten.“ Immerhin: Die meisten Einheimischen würden ihr „Baarl“ kennen, sagt Werland.
Wie wir etwas aussprechen, hat tatsächlich auch damit zu tun, wo wir leben, sagt Heinz Eickmanns von der Uni Duisburg-Essen. „Als Außenstehender bin ich dazu geneigt, bestimmte Buchstabenkombinationen so auszusprechen, wie ich sie normalerweise spreche.“ Ein „oe“ werde schnell zu „ö“, ein „oi“ zu „eu“. Das führt zu Sprachschätzchen wie „Ör Erkenschwick“, „Treusdorf“ und „Schloss Breuch“. „Es gibt allerdings auch Einheimische, die ,Grevenbreuch’ sagen“, sagt Eickmanns. Obwohl es richtig „Grevenbrooch“ heißt.
Genauso wie „Grevenbrooch“ heißt. Genauso wie „Oor Erkenschwick“, „Troosdorf“ und „Schloss Brooch“. Aber, warum eigentlich?
Die Geschichte der Namen
„Eigen-, Familien- und Ortsnamen wurden durch Rechtschreibreformen nicht angepasst“, sagt Eickmanns. „Sie haben ihre alte Schreibweise beibehalten.“ Die historischen Schreibungen würden sich im gesamten Rheinland und Ruhrgebiet verteilen – Regionen, die früher teils niederdeutsch, teils niederfränkisch geprägt waren. „In unseren heutigen Ortsnamen spiegeln sich diese Schreibtraditionen wieder.“
[kein Linktext vorhanden]In Westfalen etwa war es üblich, mit einem „e“ einen langen Vokal zu kennzeichnen. Heute übernimmt diese Funktion oft das „h“ (wie in „Bohne“) oder ein doppelter Vokal (wie in „Boot“). Wobei Ausnahmen auch hier die Regel bestätigen, wie der „Bote“ beweist.
Aber zurück zum sogenannten Dehnungs-e. Lasen die Menschen früher Namen wie Coesfeld oder Oer Erkenschwick, war für sie klar, dass das „o“ lang gesprochen wird. „Heute wissen wir das oft nicht mehr“, so Eickmanns. Statt einem „e“ stellte man im Rheinland übrigens gern ein „i“ hinter das „o“. Nicht nur in Ortsnamen wie Grevenbroich und Troisdorf, sondern auch in Familiennamen wie Voigt.
Wenn sich ein „e“ oder „i“ in Städtenamen als langer Vokal sprechen – müsste es dann nicht auch Duusburg heißen statt Düüsburg? „Manchmal wird das behauptet, aber es war schon immer Düüsburg“, sagt Eickmanns. Der Name komme aus dem Niederfränkischen, das eng verwandt sei mit dem Niederländischen. „Damals hat man Duisburg nur mit ,u’ geschrieben, also Dusburg.“
Denn im Niederländischen – wie etwa auch im Französischen – gebe es den Umlaut „ü“ nicht. „Das ,u’ wird wie ,ü’ gesprochen. Das ist auch heute noch so.“ Das „i“ in Duisburg sei später dazu gekommen, um anzuzeigen, dass es ein langes „ü“ ist. Gleiches gilt etwa für Duisburg-Duissern, Kerpen-Buir und Essen-Schuir.
Im Rheinland wird die Buchstabenkombination „ui“ übrigens immer „ü“ gesprochen. Manchmal ersetzt ein „y“ das „i“, etwa im niederrheinischen Neukirchen-Vluyn. An der Aussprache ändert das jedoch nichts.
„Man muss es einfach wissen“
Wer jetzt den Überblick verloren hat, gräme sich nicht: „Bei historisch bedingten Schreibungen von Orts- oder Familiennamen, die nicht so ausgesprochen werden, wie man das aufgrund unserer normalen Rechtschreibung erwarten würde, gibt es keine Möglichkeit, die richtige Aussprache zu erkennen“, sagt Heinz Eickmanns. „Man muss es einfach wissen.“ Das gelte für Einheimische wie für Nicht-Einheimische. „Die Einheimischen aber lernen es von Kind auf und wissen es dann.“ Die Nicht-Einheimischen müssten es auch lernen – „oder sie sprechen die Namen eben falsch aus, was ja häufig vorkommt.“