Polizei schreibt Klärung von Motiv für Bluttat in Hilden ab
Gut eine Woche nach der Schießerei im Werk des Technologieunternehmens 3M in Hilden hat die Polizei keine Hoffnung mehr, das Motiv zur Tat herauszufinden. Der Schütze hatte zwei Beschäftigte schwer verletzt und sich dann selbst erschossen. Ein entscheidender Tipp sei nun nur vom Zufall abhängig.
Hilden.
Ein Mann betritt seine Firma, schießt auf Kollegen und bringt sich anschließend selbst um. Was die Beschäftigten im Werk Hilden des Technologieunternehmens 3M am vergangenen Freitag zum Beginn der Nachtschicht erlebt haben, könnte ohne weiteres Basis eines Filmstoffs sein. Aber es würde womöglich ein verstörender Film werden. Denn was den Schützen zu seiner Tat getrieben hat, weiß die Polizei auch gut eine Woche nach der Tat nicht. Und mehr noch: Sie geht inzwischen nicht mehr davon aus, es je zu erfahren.
Der Täter, „er war Maschinenführer. Er galt als unauffällig. Er hat gerne gearbeitet, er ist gerne zu seinem Job gegangen und er war nicht unbeliebt“. So beschreibt die Polizei den 38-Jährigen, der am vergangenen Freitag in Hilden den Beginn einer Nachtschicht in einem Produktionsbetrieb zum Alptraum hat werden lassen.
Um 21.30 Uhr erschien er nach fünf Tagen schichtfrei pünktlich zum Dienstantritt auf dem 3M-Werksgelände. Seit 15 Jahren war er in dem Unternehmen beschäftigt. Es hätte eine Schicht wie jeder andere sein können. Doch der Abend hat in dem Unternehmen einiges durcheinandergeworfen und macht vielen Mitarbeitern seitdem schwer zu schaffen.
3M stellt Mitarbeitern Seelsorger an die Seite
Die dabei waren haben Traumatisches erlebt. Zuerst hatte der Schütze auf dem Parkplatz und vor Zeugen viermal mit einer Pistole auf einen 42-jährigen Kollegen geschossen und ihn lebensgefährlich verletzt. Dann ging der 38-Jährige zur Kantine, wo einiger Betrieb war. Mehrere Dutzend Beschäftigte hielten sich dort auf. Der 38-Jährige schoss gezielt auf zwei Kollegen, die sich an einem Rauchertisch aufhielten. Sie wurden durch Glassplitter verletzt, aber sie überlebten. Anschließend ging der 38-jährige in den Umkleidebereich. Dort traf er auf sein nächstes Opfer. Es war sein direkter Vorgesetzter, den er mit zwei Kugeln lebensgefährlich verletzte. Dann erschoss sich der 38-Jährige selbst.
Der Täter erschien nicht ungewöhnlich gekleidet, er kommentierte seine Schüsse nicht, im Gegenteil, er soll andere, unbeteiligte Kollegen sogar noch beruhigt haben. Er handelte gezielt, er handelte kontrolliert. Es fand sich kein Abschiedsbrief bei ihm.
Was bleibt sind verstörte Seelen. Das Unternehmen hat seinen Mitarbeitern in Hilden mehrere Notfallseelsorger zur Seite gestellt. „Das Angebot wird intensiv angenommen“, sagt 3M-Sprecher Manfred Kremer. Das Credo der Notfallseelsorge ist, dass man über Belastendes spricht. So lange es nötig sei, wolle das Unternehmen das Seelsorgeangebote im Betrieb aufrechthalten. Auch Mitgefühl braucht seinen Ausdruck. Es liegen Bücher aus, in denen Mitarbeiter den schwer verletzten Kollegen gute Wünsche notieren. „Die Büchern sind bald voll“, sagt Kremer. Die Kollegen sollen Sie dann überreicht bekommen. Sie sind, sagt Kremer, „inzwischen auf dem Weg der Besserung“ und nicht mehr auf der Intensivstation.
„Es würde viele erleichtern, wenn wir das Motiv kennen würden“
Was auch bleibt und wohl über allem bleibt, ist eine einzige Frage: Warum? Dass es bis dato keine Antwort gibt, sieht Unternehmenssprecher Kremer als Belastung. „Es würde viele erleichtern, wenn wir einen Grund wüssten“, sagt Kremer. Es würde helfen, das Erlebte zu verarbeiten. Aber auch Kremer macht sich darauf gefasst, „dass wir die Antwort wohl nie erhalten werden“.
Nicht nur die Polizei hat versucht, das Motiv zu ergründen. Auch das Unternehmen hat es versucht. Es hat die Personalakten durchforstet, hat Kollegen des 38-Jährigen befragt und alle seine Vorgesetzten. „Wir kommunizieren ganz intensiv im Werk“, sagt Kremer. Wohl keinen der insgesamt 900 Beschäftigten in Hilden lässt der Fall kalt, meint Kremer. „Es sind die verschiedensten Gerüchte unterwegs“. War der 38-Jährige mit Kollegen zusammengeraten, mit Vorgesetzten, drohte ihm die Kündigung, war er psychisch krank, gab es etwas in seiner Familie? Auf alle Fragen gibt es bisher ein und dieselbe Antwort, sagt Kremer: „Nein“.
Auch die Polizei hat Fragen gestellt, viele Fragen. Die Mutter des 38-Jährigen, seine Familie: alle Personen, die ihm, der alleinstehend war, irgendwie nahe standen, sind befragt worden, zum Teil mehrmals. Die Handydaten wurden analysiert. Die Kontodaten. Was irgendwie Aufschluss über die Lebensverhältnisse und -Umstände des 38-Jährigen geben konnte, habe man in den Blick genommen, heißt es bei der Polizei. Und weil die Beamten der Mordkommission bis dato trotzdem das Motiv nicht klären konnten, durchforsteten sie die Wohnung des 38-Jährigen nicht nur einmal, sondern jüngst ein zweites Mal.
Polizei hofft auf ‚den großen unbekannten Zeugen‘
„Die Ermittlungen haben keinen Anhaltspunkt für das Motiv des Täters geliefert“, sagt Frank Sobotta, Sprecher der Kreispolizei Mettmann. Aus Sicht der Polizei heißt das, dass die Ermittlungen in Kürze wohl auf kleinere Flamme gestellt werden. „Natürlich würden wir die Akte jederzeit wieder aufmachen“, wenn es neue Hinweise gäbe. Die einzige Chance, die man da bei der Polizei sehe, sei „dass sich jemand meldet, den wir bisher noch nicht kennen“.
Einige Zusammenhänge muss die Polizei noch klären. Schusswaffenexperten des NRW-Landeskriminalamts müssen noch die beiden Waffen untersuchen. Denn es ist offen ist, woher der 38-Jährige sie hatte und ob sie schon mal in einem anderen Ermittlungsfall aufgetaucht sind, schon mal bei einer Straftat verwendet worden sind. Antworten dürften Wochen dauern. Ob sie zum Motiv führen, ist aus Sicht der Ermittler eher unwahrscheinlich. Auch von den beiden schwer verletzten Kollegen erwarte man keine neuen, überraschenden Hinweise, sagt Polizeisprecher Sobotta. Einer der beiden soll noch am Tatort, von den Schüssen schwer verletzt aber noch ansprechbar, den Beamten gesagt haben, er wüsste nicht, warum der Kollege auf ihn geschossen hat. Das zweite Opfer soll dem 38-Jährigen Tage vor der Tat sogar privat geholfen haben, dessen Motorrad zu reparieren, heißt es im Betrieb.
Bei der Polizei weiß man, „dass eine Antwort auf die Motiv-Frage besonders für die Angehörigen und die Opfer wichtig wäre“. Um das Erlebte zu verarbeiten. Auch die beteiligten Polizisten würden, sagt Sobotta, viel dafür geben, dass sie die Tat erklärbar machen könnten. Für die juristischen Ermittlungen selbst ist der Grund für das Motiv dagegen nicht notwendig, sagt Sobotta: Der Täter ist tot, „man wird ihm nicht mehr den Prozess machen können“.