Schermbeck.
Es ist schon erstaunlich, wie das Wetter manchmal zu den Gegebenheiten passt. Pünktlich zur Pogromnacht-Gedenkfeier der Gesamtschule Schermbeck verdunkelte sich gestern Nachmittag der Himmel. Als die Schüler nach Vorträgen und Diskussionen in ihrer Aula zum jüdischen Friedhof gingen, regnete es aus novembergrauen Wolken. Und als sie ihre Kerzen an den verwitterten Grabsteinen abgestellt und Berichte von Zeitzeugen vorgelesen hatten, riss der Himmel plötzlich auf und machte Platz für das leuchtende Rot und Gelb des Sonnenuntergangs. Ein Gänsehauterlebnis!
Im vergangenen Jahr hatte Geschichtslehrerin Anna Esters zum 75. Jahrestag der Pogromnacht erstmals eine Gedenkveranstaltung mit Besuch des jüdischen Friedhofs organisiert. Diese Tradition wollte die Gesamtschule nun nicht nur fortführen, sondern auch ausweiten. Dr. Ludger Heid von der Uni Duisburg-Essen hielt vor rund 100 Schülern in der Aula einen Vortrag und Wilfried Johnen, Geschäftsführer des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein, begleitete die Veranstaltung. Außerdem waren Vertreter der Gemeinde Schermbeck, der Kirchengemeinden und des Heimatvereins eingeladen.
Sie alle standen vor dem Tor des jüdischen Friedhofs an der Gartenstraße und hörten den Schülern zu, die mit leisen Stimmen Berichte von Zeitzeugen aus ganz Deutschland vorlasen. Die Erinnerung eines Mannes, der das Geräusch von zerschellendem Glas sein Leben lang nicht mehr vergessen konnte. „Wir flohen aus unseren Betten.“ Das Bild des Vaters, den seine Söhne zum ersten Mal weinen sahen. Das Erlebnis eines Kindes, das von der Mutter im Kleiderschrank versteckt wurde.
Die Gesamtschüler hatten die Texte im Unterricht ausgewählt und sich bereit erklärt, sie auch vorzutragen. „Nur wer vergessen wird, ist wirklich tot“, erklärte Wilfried Johnen den Schülern. „Durch eure Arbeit holt ihr die Verstorbenen zurück ins ewige Leben.“
Schweigend gingen die jungen Frauen und Männer über das regendurchtränkte Moos von Grabstein zu Grabstein, versuchten die Namen zu entziffern, entzündeten Kerzen und legten kleine Steine ab. Ein Brauch, den Wilfried Johnen so erklärte: „Im Judentum heißt der Friedhof Haus des Lebens. Mit den Steinen bauen wir weiter an diesem Haus.“
Schulleiter Norbert Hohmann war sehr zufrieden mit der Gedenkfeier. Auch, weil die gut 20 Schüler, die noch mit zum Friedhof gingen, das freiwillig nach Schulschluss taten. Lernen aus der Vergangenheit – das ist der Hauptgedanke, der hinter dieser Veranstaltung steht und den Lehrerin Anna Esters so formuliert: „Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnert, ist verdammt, sie zu wiederholen.“