Die Zahl der Inobhutnahmen von Kindern aus Problemfamilien steigt seit Jahren enorm an. Die so genannte Erziehungsfähigkeit der Eltern nimmt ab, spektakuläre Fälle haben zu mehr Sensibilität und Aufmerksamkeit geführt. Jetzt hofft das Land, die Zahlen durch neue Projekte langfristig wieder senken zu können.
Dortmund.
Westfalen sucht nach neuen Wegen, um die Zahl der Inobhutnahmen von Kindern aus Problemfamilien einzudämmen. Sie hatte 2011 mit 10 600 Fällen in NRW einen Höchststand erreicht. Mit einem Modellprojekt, an dem die Städte Dortmund, Ahlen und Gladbeck und der Kreis Lippe beteiligt sind und das von der Universität Siegen wissenschaftlich begleitet wird, möchte das Landesjugendamt kommunale Rückführungskonzepte in die Herkunftsfamilien entwickeln.
„Es muss umgehend etwas passieren“, sagt Martin Lengemann, Sachbereichsleiter Erzieherische Hilfen beim LWL-Landesjugendamt Westfalen. So stiegen die ambulanten Hilfen 2009 gegenüber dem Vorjahr um 19,2 Prozent, die stationären Hilfen um 9,9 Prozent. Für die Kommunen in NRW führte dies zu einem Kostenanstieg in Höhe von 88,5 Millionen Euro.
Anreiz für Jugendämter
„Bei einem Tagessatz von 120 Euro gibt es für die Jugendämter einen Anreiz, genau hinzuschauen, was können wir tun, damit die Erziehungsfähigkeit der Eltern wieder hergestellt wird und die Kinder in die Familie zurück können“, sagt Lelgemann. Doch deutschlandweit gäbe es über den Einzelfall hinaus bislang dazu keine Forschungsergebnisse oder Konzepte. Genau hier setzt das Projekt an, das von dem renommierten Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Klaus Wolf vom Zentrum ZPE aus Siegen begleitet wird.
„In eineinhalb Jahren“, so die Hoffnung von Martin Lelgemann, „haben wir dann eine Handreichung und Arbeitshilfe für die Jugendämter im Land.“
Das Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) ist eine interdisziplinäre wissenschaftliche Einrichtung der Universität Siegen. Das Forschungszentrum sieht sich als Brücke zwischen Theorieentwicklung auf der einen und Konzept- und Praxisentwicklung auf der anderen Seite.
Im Oktober startet es außerdem ein großes bundesweites Forschungsprojekt, das speziell die Rückkehr aus Pflegefamilien untersucht.
„Dieses Projekt soll dazu beitragen, die große Not, die dabei oft entsteht, zu verringern“, sagt Prof. Klaus Wolf.
(Siehe auch Interwiew mit Prof. Dr. Klaus zum Thema Rückführung).
Ein besonderer Fokus liegt dabei auch auf der Fremdunterbringung der kleinsten Kinder: Allein von 2007 bis 2009 stieg die Fallzahl der Mädchen und Jungen unter sechs Jahren um rund 46 Prozent.
In Dortmund ist man auf diese Entwicklung bereits eingestellt: Seit genau zehn Jahren gibt am Klinikum das Präventionskonzept „Start mit Stolpern“, das ein professionelles und individuelles Begleitnetz für hoch risikobelastete Familien mit ihren Neugeborenen schaffen will.
Während es bei der Gründung noch 35 Fälle gab, verzeichneten die Sozialarbeiterinnen im vergangenen Jahr mehr als 170 Frauen, die aufgrund von Sucht- oder psychischen Problemen nicht in der Lage gewesen wären, ihre Kinder allein zu versorgen. Doch über 70 Prozent der Babys konnten nach der intensiven Unterstützung ihrer Mütter nach Hause entlassen werden.