Hubschrauber sprüht Raupengift – 15 Schüler im Krankenhaus
Ein Großaufgebot an Rettungskräften ist Freitagmorgen zur Albert-Schweitzer-Grundschule in Dorsten ausgerückt. Ein Hubschrauber hatte dort ein Mittel zur Bekämpfung der Eichenprozessionsspinner-Raupen versprüht. 15 Kinder mussten daraufhin in umliegende Krankenhäuser gebracht werden.
Dorsten.
Simone Lüning zittern die Hände. Sie wartet mittags vor der Albert-Schweitzer-Schule in Dorsten-Hervest, weiß nicht, was mit ihrer Tochter ist. Die Kinder sind alle im Gebäude, die Straße davor ist gesperrt, auf dem Pausenhof stehen ein Dutzend Rettungs- und Feuerwehrautos. Der Unterricht hat Freitagmorgen ein jähes Ende gefunden. Denn Schüler wurden auf dem Pausenhof von einem Hubschrauber aus mit einem bakteriologischen Insektizid besprüht. Der Pilot sollte die Eichen auf dem Schulhof mit einem Gift gegen die Raupen des Eichenprozessionsspinners einnebeln.
Stimmung auf dem Hof ist aufgeregt
Die Stimmung auf dem Hof ist aufgeregt. Eltern diskutieren, bestürmen die Einsatzkräfte mit Fragen. Die Feuerwehr-Gruppe Psychosoziale Unterstützung (PSU) versucht, sie zu beruhigen.
Bürgermeister Lambert Lütkenhorst spricht mit Kindern und Eltern. „Alle sind sehr aufgeregt. Das ist nachvollziehbar“, sagt er.
In der Schule sind indes alle Kinder in ihren Klassen. Sie werden gruppenweise in der Turnhalle geduscht, die Eltern wurden informiert, dass sie frische Kleidung bringen sollen, Handtücher hat die Stadt aus dem Krankenhaus holen lassen. Was die Schüler anhatten, wird in Tüten verpackt. Alle Kinder – auch wenn sie keine Symptome zeigen – sollen sich kurz einem der Notärzte vorstellen.
Zwölf Rettungswagen und vier Notärzte
Ein Großaufgebot an Rettungskräften ist seit 10.30 Uhr im Einsatz: 17 Polizisten, zwölf Rettungswagen und vier Notärzte. Auf der nahen Dorfwache steht ein mobiler Behandlungsplatz mit drei weiteren Doktoren. Kreisbrandmeister Robert Gurk leitet den Einsatz.
Gegen Mittag beruhigt sich die Stimmung auf dem Schulhof dann. Die Elternsorgen weichen der Erleichterung, dass das Blaulichtgewitter auf dem Pausenhof zwar schlimm aussah, aber wohl nichts Ernstes passiert ist. Trotzdem wird es Nachmittag, bis alle 220 Schüler die Schule verlassen können. Bis auf den Schreck geht es den meisten gut. Aber nicht allen: 15 Kinder kommen zur Beobachtung ins Krankenhaus. „Vorsorglich“, sagt der leitende Notarzt Nico Schuback.
Mediziner Schuback geht davon aus, dass die Symptome bei den betroffenen Kindern nicht durch das hoch verdünnte Sprühmittel ausgelöst wurden, sondern wohl eher durch die Gifthärchen der Raupen, die der Hubschrauber aufgewirbelt hat. Sie verursachen genau das, was an den betroffenen Kindern festgestellt wurde: Husten, Halskratzen, Juckreiz. Diese allergischen Reaktionen können sehr lästig sein und wochenlang anhalten, sind aber in der Regel ungefährlich, erklärt Schuback.
Raupengift laut Stadt und Auftrags-Firma für Menschen ungiftig
David Steuer, bei der Firma Calmund + Riemer verantwortlich für den Sprüheinsatz, ist ebenfalls nach Hervest geeilt. Mit dem Raupengift Dipel ES – eine hoch verdünnte Lösung, die ein Bakterium enthält – hat er seit Jahren gute Erfahrungen gemacht. Es sei für Menschen nicht giftig, versichert er.
Das betont auch die Stadt: Das Spritzmittel werde seit 2007 verwendet und sei – im Gegensatz zu den gefährlichen Härchen der Eichenprozessionsspinner – „vergleichsweise ungefährlich“, heißt es aus der Pressestelle. Dennoch seien die Schulen am Tag vor dem Hubschrauber-Einsatz informiert worden. In der Albert-Schweitzer-Schule jedoch sei am Nachmittag niemand mehr ans Telefon gegangen, die Warnung landete daher auf dem Anrufbeantworter.
Kripo ermittelt wegen fahrlässiger Körperverletzung
Viele Fragen sind noch offen. Die Kripo ermittelt wegen fahrlässiger Körperverletzung, hat aus dem Hubschrauber Proben des Sprühmittels genommen.
Warum Kinder auf dem Pausenhof waren und wie viele (es sollen nur 20 gewesen sein), wer wann informiert war über den Einsatz, ob der Pilot die Schüler nicht gesehen hat – all das werde Anfang der Woche analysiert, sagt Bürgermeister Lütkenhorst.
Für Eltern hat die Feuerwehr am Nachmittag eine Hotline eingerichtet: Unter 0175 / 570 99 74 gibt es Informationen zu allen Fragen oder wird bei Bedarf an Fachleute vermittelt. Grundsätzlich gilt: Zeigen Kinder die geschilderten Symptome, sollten sie einem Arzt vorgestellt werden.
Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners aus der Luft „besonders effektiv“
Der Eichenprozessionsspinner ist laut Landesbetrieb Straßen NRW ein Forstschädling, der Eichen befällt und nach dem Schlüpfen der Larve sich von frisch getriebenen Eichenblättern in den Kronen ernährt. Daher sei die Bekämpfung aus der Luft besonders effektiv.
Die Larven des Nachtfalters bilden Gifthaare aus, die auf der Haut des Menschen allergische Reaktionen hervorrufen. Die Bekämpfung erfolge mit einem biologisch unbedenklichen Mittel, das nur auf die Larve des Eichenprozessionsspinners Auswirkungen hat. Vier Tage nach dem Kontakt mit dem Mittel sterben die Larven, bevor die Gifthaare sich ausbilden können.