An Rhein und Ruhr.
Die Schmerzen an den Halswirbeln waren unerträglich. Anna Breslau (Name geändert) fürchtete sich vor einer Operation. „Geh doch zu einer Heilerin“ – der Tipp einer Freundin kam gerade recht. „Kranke Menschen greifen nach jedem Strohhalm“, sagt Anja Gollan vom Sekteninfo NRW. Anna Breslau hat den Gang zu einer Heilerin in Köln zwei Jahre später bitter bereut: Sie landete schließlich in der Notaufnahme eines Krankenhauses, die Nieren völlig kaputt.
Immer größere Wassereinlagerungen in Breslaus Körper hat die nach eigener Aussage „von Gott geführte“ Heilerin als Schwäche des Lymphsystems missgedeutet. Sie forderte von der Patientin, „mehr zu trinken, mindestens drei Liter am Tag, damit die Nieren angeregt werden“. Ein fataler Hinweis. Dass Breslau unter der Einlagerung von krankhaft veränderten Proteinen in ihrem Körper litt, hatte die Heilerin nicht erkannt – wie auch? „Die Frau ist weder Ärztin noch zugelassene Heilpraktikerin“, berichtet Gollan. Die bittere Konsequenz: Breslau ist heute auf Dialyse angewiesen. Eine rechtzeitige medizinische Behandlung hätte das möglicherweise verhindert.
Markt für Wunderheiler undLebenshilfepäpste boomt
Fälle wie diese sind nicht ungewöhnlich. Der Markt für Wunderheiler, Esoterikgurus und Lebenshilfe-Päpste boomt; das merkt man beim Sekteninfo NRW deutlich. Mehr als ein Drittel der Menschen, die im vergangenen Jahr in der in Essen ansässigen Beratungsstelle um Hilfe nachsuchten, hatten Probleme mit Methoden solcher „Therapeuten“. „Die Heiler bereichern sich am Leid der Menschen“, klagt Sabine Riede, Leiterin des Sekteninfos.
Einer, der viel Geld verdient, heißt Robert Betz. Der gebürtige Rheinländer ist Diplom-Psychologe und Werbefachmann, schreibt Bestseller („Willst Du normal sein oder glücklich?“), gibt Seminare und hält Vorträge. Er preist seine „Transkriptionstherapie“ als völlig neue Psychotherapie. Sein eingängiges Credo: Hinuntergeschluckter Ärger macht krank. Als geistige Wesen erzeugten Menschen sich ihre Krankheiten auf diese Weise selbst, sie könnten sie aber auch selbst heilen, durch positive Gefühle wie Freude. Die Menschen müssten sich demzufolge nur von ihrem selbstverursachten Leid befreien (mitunter auch durch Kontakt in die Vergangenheit) – einige lassen dabei auch ihre Familie hinter sich. Insgesamt 21 Beratungsfälle hat das Sekteninfo allein in Sachen Robert Betz gezählt, dabei ging es auch um zerrüttete Ehen, weil Partner nach Vorträgen von Betz das pralle Ich-Leben für sich entdeckt hatten.
Mitarbeiter des Sekteninfos haben einen sehr emotionalen Vortrag von Betz in Bottrop besucht. Sabine Riede hält den verkaufstüchtigen Psycho-Mann für einen „erfolgreichen, aber unseriösen Anbieter auf dem esoterischen Lebenshilfemarkt“. Betz’ Überlegungen zu Krankheiten seien problematisch, weil sich Anhänger möglicherweise ganz auf die eigene Kraft verließen und eine notwendige medizinische Behandlung ausschlagen könnten.
Gut verdient hat auch die Kölner Heilerin. Zwei Jahre pilgerte Anna Breslau zu ihr, ließ sich Muskeln an der Wirbelsäule drücken, es gab Rollenspiele, beschwörende Gespräche und pflanzliche Mittelchen. Jede Sitzung schlug mit 50 Euro zu Buche. „Die Patientin hat ihr gesamtes Erspartes von insgesamt fast 6000 Euro dafür aufgebraucht“, berichtet Sekteninfo-Mitarbeiterin Gollan. Schlimmer als der materielle Verlust wiege aber der gesundheitliche Schaden.
Inwieweit die Heilerin dafür herangezogen werden kann, soll eine Schadensersatzklage nun klären. Ein Strafverfahren hat die Staatsanwaltschaft gegen 2500 Euro Geldauflage eingestellt – und das, obwohl das Sekteninfo nach eigenen Angaben weitere acht Fälle benannt hat, in denen die Kölnerin eine Heilbehandlung durchgeführt hat, ohne dafür zugelassen zu sein. 2500 Euro Auflage – Anja Gollan hält das für ziemlich glimpflich. Eine abschreckende Wirkung sei nicht ersichtlich. Beim Sekteninfo fordert man: Staatsanwälte müssten in solchen Fällen härter durchgreifen, auch wenn sich über eine Mitverantwortung der Patienten durchaus diskutieren ließe.