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Grenzenlos genießen

Dinxperlo und Suderwick profitieren vom grenzenlosen Europa

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Foto: WAZ FotoPool
Griechenland-Austritt, ein Scheitern des Euros – das Ende Ende Europas? In der aktuellen Krise ist das „Projekt Europa“ in Gefahr. Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union im Jahr 2012 sollte da ein Kontrapunkt setzen. In Dinxperlo und Suderwick wird erfahrbar, was Europa im Alltag bedeuten kann. Die Menschen dort bringen es auf eine einfache Formel: „Wer A sagt, muss auch Europa sagen.“

Dinxperlo/Suderwick. 

Peters Europa ist 62 Quadratmeter groß. In seinem „Specialiteiten“-Geschäft stapeln sich Schinken aus Spanien, Salami aus Italien und natürlich Gouda aus den Niederlanden. „Zu mir ins Geschäft kommen meistens Holländer, um Schinken zu kaufen“, sagt Peter Kroesen, Delikatessen-Verkäufer im niederländischen Dinxperlo.

„Den kannten die gar nicht, bevor die deutschen Touristen zu uns gekommen sind. Sie haben von ihren Reisen erzählt und dann auch bei mir nach Parma- oder Iberico-Schinken verlangt! Am liebsten kaufen die Holländer aber immer noch das hier“ – er hält eine drei Kilo schwere Dose hoch, ‘Boterham Wurst’ steht darauf, eine Art Fleischwurst, „drei Jahre haltbar!“

Die Straßenseite entscheidet zwischen „Hallo“ und „Hoi“

Peter Kroesen lächelt. „Aber wenigstens haben die Holländer hier die Möglichkeit, alles aus Europa einzukaufen. Die Boterham Wurst hat eben holländische Tradition.“ Der 49-Jährige selbst lebt Europa ganz direkt – so wie viele hier im deutsch-niederländischen Grenzgebiet. Dinxperlo grenzt direkt an das kleinere Suderwick, das zur Stadt Bocholt im Münsterland gehört.

Die Grenze zwischen den Ländern, die einst beide Orte trennte, ist heute nicht mehr sichtbar, nur die Straßenseite am Heelweg/Hellweg entscheidet, ob man mit „Hallo“ oder „Hoi“ begrüßt wird. Kritische Stimmen zur EU gibt es hier im Grenzgebiet kaum. Warum auch? Längst genießen die Bewohner die Vorzüge des grenzenlosen Europas: keine Grenzkontrollen, dafür die gemeinsame Währung, Spezialitäten aus den Anrainerstaaten und weit darüber hinaus.

Zusammenwachsen der Nachbarländer

„Früher war das noch etwas anders“, erzählt Birgit Nyman, die Besitzerin eines Kaffeegeschäfts direkt neben dem Delikatessenladen. Birgit und Peter sind Geschwister und leben gut vom vereinten Europa. „Die Generation unserer Eltern hat sich aber anfangs schwer damit getan, dass viele Deutsche hier unterwegs waren“, sagt Birgit Nyman. „Aber das hat sich auch geändert – heute lebt unsere Mutter in einem deutschholländischen Altenwohnheim, und das Zusammenleben dort funktioniert gut.“

Peter Kroesen und Birgit Nyman verkörpern das Zusammenwachsen der Nachbarländer. „Ich bin in Deutschland geboren, habe einen deutschen Pass“, sagt Peter. „Unser Vater ist Holländer, unsere Mutter Deutsche. Meine Kinder sind in Deutschland geboren, gehen aber auf eine holländische Schule. Na ja, bei uns ist das alles gemischt, aber das ist auch gut so.“

70 Prozent der Kunden sind Deutsche 

Birgit lebt von den Tagestouristen: „70 Prozent meiner Kunden sind Deutsche, die offenen Grenzen sind gut fürs Geschäft.“ Birgit spricht deutsch mit niederländischem Akzent. Ein bisschen Ruhrgebiets-Slang hört man aber auch heraus. Kommt vielleicht wegen der Touristen. Der Laden brummt.

Die Menschen stehen Schlange in dem Geschäft, wollen auf einer kleinen Ausflugstour die günstigen Schnäppchen mitnehmen, am Straßenrand stehen Autos mit Revier- Kennzeichen. „Als was ich mich fühle? Als Deutsche, Holländerin oder Europäerin? Ach, ich bin von allem etwas.“

„Wer A sagt, muss auch Europa sagen“

Auch auf dem angrenzenden Wochenmarkt ist das vereinte Europa gut sicht- und hörbar: Ein Sprachen-Mischmasch aus Deutsch und Niederländisch, manchmal ein paar Fetzen Englisch. Marktstände mit Matjes, frischen Blumen, Waffeln. Die Kaffeefahrt findet hier noch im ursprünglichsten Sinne statt, nach einem Rundgang über den Markt und bei dem obligatorischen Kibbeling, frittierte Fischstückchen, machen die Tagestouristen gerne einen Abstecher in die Geschäfte von Birgit und Peter.

Die Euro-Krise ist hier kein großes Thema: „Klar, man hört von Griechenland und Spanien“, sagt Birgit, „aber das Wichtigste ist doch, dass wir hier friedlich zusammenleben. Das ist doch ein so großes Glück! Und wenn man sich einmal für Europa entschieden hat, muss man auch dabei bleiben, auch wenn ein Land einmal Schwierigkeiten hat. Wer A sagt, muss auch Europa sagen.“ [kein Linktext vorhanden]