- Der 17-jährige Marc S. lebte auf Dächern und Bäumen – Passanten fanden seine Leiche in einem Garten
- Sein Vater hatte seine Mutter erstochen, als er 14 war – darüber kam der Junge nie hinweg
- Jugendamt versuchte ihm zu helfen – doch niemand kam an den traumatisierten Jugendlichen heran
Mönchengladbach.
Wände waren eine Qual für Marc S., geschlossene Räume eine Tortur. Der 17-Jährige lebte die meiste Zeit seiner letzten Lebensjahre auf der Straße, bis es ihm sogar dort zu eng wurde.
Zuletzt floh er nach oben: wohnte auf Dächern, war auf Garagen unterwegs. Lebte im Geäst von Bäumen. Dort starb er – drei Monate vor seinem 18. Geburtstag.
Vater brachte die Mutter um und verletzte seinen Sohn schwer
Im April fanden Spaziergänger seine Leiche in einem Baum auf einem Gartengrundstück in Mönchengladbach. Unklar ist, ob er dort erfroren oder an einer Überdosis Drogen gestorben ist.
Der 17-Jährige hat eine unfassbare Leidengeschichte hinter sich: Als er 14 war, musste er mitansehen, wie sein Vater seine Mutter erstach. Er selbst überlebte nur knapp: Sein Vater versuchte offenbar, auch ihn umzubringen und verletzte ihn schwer. 2015 beging der Vater in seiner Gefängniszelle Suizid. Und sein Sohn sollte niemals mehr in ein glückliches Leben finden.
Nur auf der Straße fand er Ruhe
Warum konnte niemand Marc S. helfen?
Klar ist: Ämter und soziale Einrichtungen haben es immer wieder versucht. Nach einem langen Klinikaufenthalt kam der Junge in ein Heim. Familienangehörige, die sich um ihn hätten kümmern können, gab es nicht. Immer wieder riss Marc aus. „Er war stark traumatisiert“, sagt Dirk Rütten, Sprecher der Stadt Mönchengladbach.
„In geschlossenen Räumen hat er es nicht mehr ausgehalten“. Er fing an, auf der Straße zu schlafen. Nur dort konnte er Ruhe finden.
Hätte man Marc S., der fast noch ein Kind war, nicht zwangseinweisen können? Für sein eigenes Wohl?
Fixiert und ständig auf Beruhigungsmitteln – was wäre das für ein Leben gewesen?
Auch das ist immer wieder passiert. Das erste Mal erfolgt eine Einweisung am 25. April 2015 nach dem Psychisch-Kranken-Gesetz: Danach können Menschen gegen ihren Willen eingewiesen werden, wenn eine akute Selbstgefährdung besteht.
Zwei Tage später wird Marc S. wieder entlassen. Im Mai stellt die Jugendhilfe einen Antrag auf geschlossene Unterbringung des Jungen. Für sechs Monate soll der Junge in eine Psychiatrie.
Doch Marc S. hält es dort nicht aus. „Die Mitarbeiter hätten ihn ständig fixieren und sedieren müssen, um ihn in der Einrichtung zu halten. Er konnte nicht mehr in geschlossenen Räumen sein. Wie hätte das dem Jungen geholfen?“, sagt Rütten. Was wäre das für ein Leben gewesen?
Marc S. lebte wie ein Obdachloser
Anfang Juni 2015 empfiehlt ein Jugendpsychiater eine niedrigschwellige ambulante Hilfe. Ohne Zwang – und vor allem: ohne geschlossene Räume.
Marc S. lebt jetzt wie ein Obdachloser. Sozialarbeiter kümmern sich um ihn, begleiten ihn zum Arzt, zahlen ihm Geld für den Lebensunterhalt aus. Ab und an duscht er in ihrem Büro, wäscht dort seine Kleidung.
Einen echten Zugang zu dem Jungen bekommt offenbar niemand mehr. Er will allein sein, verlegt sein Leben allmählich auf Dächer und Bäume. Die Menschen in der Nachbarschaft sehen ihn ab und zu – wirklichen Kontakt haben sie nicht zu ihm.
Gewalttätig gegen andere wird er nie
Um an mehr Geld zu kommen, begeht Marc S. immer wieder kleinere Diebstähle. Gewalttätig gegen andere wird er nie.
Im November 2016 wird er verhaftet und am 5. Dezember zu einer Bewährungsstrafe verurteilt – Auflage: Er soll eine Therapie machen und sich regelmäßig bei der Bewährungshilfe melden.
Verborgen vor dem Rest der Welt
Dann verschwindet Marc S. 17 Termine in der Psychiatrie werden abgesagt, der Jugendliche ist unauffindbar. Weil er damit gegen seine Bewährungsauflagen verstößt, erfolgt ein Haftbefehl gegen ihn. Ein letztes Mal sucht ihn die Polizei.
Doch Marc S. versteckt sich irgendwo zwischen Erde und Himmel. Lebt in Bäumen, ist verborgen vor dem Rest der Menschheit. Bis zum Ende.
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