Xanten.
Nichts in der Post, auch heute wieder nichts. Nicht in der normalen Post, nicht in der Dienstpost, keine Mail zum Thema, kein Anruf aus Düsseldorf. „Aber ich habe die Regierungspräsidentin eingeladen“, sagt Xantens Bürgermeister Christian Strunk augenzwinkernd – und will den Zeitpunkt nicht nennen. Seine freundliche Geste ist nämlich in Wahrheit so eine Art Erzwingungseinladung: Die Bezirksregierung soll endlich offiziell erklären, worauf Xanten jetzt schon seit Wochen wartet.
Xanten wird Luftkurort. Es war ein langer Weg von Colonia Ulpia Traiana zu – Bad Xanten?
Vom 1. Juni an müssen alle privaten Übernachtungsgäste 1,20 Euro pro Nacht an die Stadt zahlen; dafür zahlen sie nichts mehr im Bus und weniger in Museen. Wie viel das einbringt, weiß niemand, weil so viele Ausnahmen geschaffen wurden: Die Schätzungen taumeln zwischen 20 000 und 140 000 Euro. Aber etwas anderes muss man sich an dieser Stelle mal klar machen: Das Ruhrgebiet hat seinen ersten Luftkurort. Blauer Himmel über dem Rhein, sozusagen!
Denn Xanten ist nicht nur ein beliebtes Ausflugsziel des Reviers, es ist im Regionalverband Ruhr, ist nur 25 Kilometer entfernt vom Duisburger Norden; auch wenn sich das Leben in der Kriemhild-straße, am Mühlenberg oder am, naja, Westwall ganz anders anfühlt als im Revier. Man tickt niederrheinisch und ist mit Dom, Römern und Nibelungen touristisch eigentlich gesättigt; und eine gut bestückte Touristen-Info (demnächst Kurverwaltung, versteht sich) bietet neben Asterix-Figuren, nachgebildeten römischen Schilden und „Nibelungenblut“ – nur ein Likör – auch das äußerst sonderbare Souvenir „Anhänger Phallus klein“ an.
Vor Jahren schon haben sie sich beworben um den Titel, haben den Deutschen Wetterdienst Essen die Luft messen lassen und dicke Berichte geschrieben: Da standen dann nicht nur die einschlägigen Attraktionen drin, Luft, Natur und Krankenhaus, sondern auch, naja, Hilfsbeweise wie „das traditionelle Oktoberfest“, „eine Adventure-Minigolfbahn“ oder „eine Boule-Bahn“. Aber viel hilft viel, zumal die Luftwerte, nun ja . . .
„Die Luft könnte besser sein, andererseits: Es reicht aus“, sagt der Bürgermeister. Der 46-Jährige ist eine Zuversichtsnatur: Man wolle nun auch noch die Leute erreichen, „die gesundheitlich unterwegs sind. Wir haben Potenzial ohne Ende, solange noch nicht der letzte Dortmunder hier war.“
Aus dem ganzen Vorgang kann man übrigens auch Schlüsse ziehen auf die Luftqualität im Ruhrgebiet: Am Rande eines Reviers von, sagen wir, 1960, wäre ein Kurort Xanten undenkbar gewesen, sagen Experten. Staubbelastung der Luft? 90 Prozent geringer geworden im Revier. Schwefeldioxid? 95 Prozent geringer. „Das war ein anderes Universum damals“, sagt ein Mitarbeiter des „Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz“ in Recklinghausen.
Nicht alle waren anfangs so begeistert vom Luftkurxanten: Vor allem Gastronomen befürchteten Schwierigkeiten mit der Kurtaxe und wollten äußerst ungern als Geldeintreiber der Stadt auftreten. Hört man sich heute um in Geschäften, die offenbar auch an Touristen verdienen, überwiegt die Zustimmung. „Ich bin nicht negativ eingestellt“, sagt Nicola Lümmen, die Wohnaccessoires verkauft: „Wenn ich als Urlauber Kurtaxe zahlen muss, zahle ich Kurtaxe und mache den Besuch nicht davon abhängig.“
„Schön fürs Touristen-Aufkommen“
Nicole Neumann im ,Xantener Lädchen’ ist da ein bisschen gespalten: „Für das Touristen-Aufkommen ist das sehr schön.“ Andererseits hat die Familie eine Ferienwohnung, die ist schon vermietet für manche Sommerwoche ohne Einrechnung der Kurtaxe, weil es die halt noch nicht gab. „Jetzt überlegen wir, ob wir die selbst zahlen.“
Nur Bad Xanten – das wird wohl nichts. Man wolle die Marke Xanten nicht ändern, heißt es: Und lieber später versuchen, den Kurort-Status zu erhöhen von Luft- auf Kneipp-Kurort. Das ist alles sehr erstaunlich, fast 2000 Jahre nach der Schließung der letzten römischen Thermen.