Hat er oder hat er nicht? Es fiel im Nachwahlgetümmel erst gar nicht richtig auf, dass der Chef der NRW-FDP, Christian Lindner, plötzlich seiner Geheimratsecken verlustig war. Er hat die Transplantation dann per Twitter quasi bestätigt. Aber generell gilt: Politiker und ihre Frisuren sind ein haariges Thema.
Düsseldorf.
Als Christian Lindner in der vergangenen Woche ans Rednerpult des Düsseldorfer Landtages trat, hatte man von der Pressetribüne aus freie Sicht auf seinen Scheitel. Erstes Korrespondenten-Gemurmel hob an über die wohl neue Frisur des FDP-Fraktionschefs, die irgendwie sonderbar gelegt wirkte und ungewohnt dicht. Lindner ist der 34 Jahre alte Hoffnungsträger der am Boden liegenden Liberalen. Er ist redegewandt und smart, selbst das lichter werdende Haupthaar ist ihm nie öffentlich als Verfall seiner Jugendlichkeit ausgelegt worden. Doch diesmal wirkte die Frisur, sagen wir, ambitionierter. Gewöhnlich verebben solche parlamentarischen Randbeobachtungen im Kantinengespräch, wäre nicht die „Bild“-Zeitung zu Wochenbeginn mit einer handfesten Nachricht auf den Markt gekommen: Lindner hat sich einer Haartransplantation unterzogen. Follikel vom Hinterkopf werden dabei verpflanzt und schenken dem Schopf neue Fülle.
Lindner zitiert Klopp
Der FDP-Politiker wollte das Geheimnis seiner verschwundenen Geheimratsecken zunächst nicht offiziell lüften. Sein Büro wimmelte Anfragen zu dem kosmetischen Eingriff ab. Schließlich soll Lindner Ende des Jahres FDP-Bundesvorsitzender werden und die Liberalen aufrichten, die gerade ihre Abgeordnetenbüros im Bundestag räumen müssen und Hunderte Mitarbeiter zum Arbeitsamt schicken. Da könnte es sonderbar wirken, wenn der designierte Vorsitzende parallel die Künste der Beauty-Doktoren auf der Düsseldorfer „Kö“ preist. Die Rückkehr zu den liberalen Wurzeln hatte man sich anders vorgestellt. So rang sich Lindner lediglich zu einem knappen Twitter-Eintrag durch, der als Bestätigung des Eingriffs gelesen werden durfte: „Um es mit Jürgen Klopp zu sagen: ‚Ich finde, das Ergebnis ist ganz cool geworden, oder?’“
BVB-Trainer Klopp hatte zuletzt mit dem Bekenntnis einer Haartransplantation für Aufsehen gesorgt. Seinem Image hat es nicht geschadet. Allerdings ist Klopp Teil des Showgeschäfts, eine Marke der Unterhaltungsbranche. Er bewegt sich in einem Millionengewerbe, in dem auch Englands Nationalstürmer Wayne Rooney zuhause ist, der seit Jahren chirurgisch gegen seinen Haarausfall kämpft. Aber in „Waynes World“ pinkelt man eben auch schon mal morgens um fünf gegen die Fassade eines Pubs. Bei Stars, über die man sich freuen und ärgern will, werden kosmetische Korrekturen als Teil des Gesamtkunstwerks akzeptiert.
Bei Politikerinnen ist die Frisurendebatte Alltag
Bei männlichen Politikern indes gerät Schummelei auf dem Schopf schnell zu einer Frage der Glaubwürdigkeit. Hier sind die Geschlechterrollen noch klar definiert. Die Frisuren-Evolution von Kanzlerin Angela Merkel wurde von der Öffentlichkeit über Jahre wohlwollend begleitet. Ihr Coiffeur Udo Walz ließ sich ungeniert dafür bewundern, wie er mit Schnitt und Farbe Typveränderungen kreiert. Oder als NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft einmal mit einer neuen Frisur aus den Ferien kam, philosophierten Frauenzeitschriften ganz selbstverständlich darüber, ob dies ein neuer „Macht-Schnitt“ sei. Anders bei Männern in den Politik, von denen neben fast unmenschlicher Vorbild- und Tugendhaftigkeit heute vor allem eines erwartet wird: Authentizität, Echtheit – und zwar buchstäblich vom Scheitel bis zur Sohle.
Gerhard Schröder drehte juristische Locken
Ein begnadeter Instinktpolitiker wie Alt-Kanzler Gerhard Schröder wusste das und verklagte 2002 die Nachrichtenagentur ddp. Die hatte eine Imageberaterin Schröders gelungenen Auftritt und seine modische Kleidung rezensieren lassen – fatalerweise mit dem Hinweis, er solle seine grauen Schläfen doch nicht mehr wegtönen. Die Anwälte des SPD-Politikers gingen dagegen gerichtlich vor, weil es sich bei der Haarfarbe des Kanzlers um keine „Petitesse“ handele. CSU-Mann Michael Glos musste erst über 60 und Bundeswirtschaftsminister werden, bis er 2008 dem natürlichen Grau nichts mehr entgegensetzen mochte. Bis dahin hatte Ehefrau Ilse höchstselbst stets die Farbtube bei ihm angesetzt. „Wenn man älter wird, dann werden die Haar grauer“, bilanzierte Glos irgendwann fatalistisch, und es klang wie ein sympathisches Resümee zum demografischen Wandel.
Riskant: Das Alter kann man nicht frisieren
FDP-Hoffnungsträger Lindner hat sich nun für einen anderen Weg entschieden, und niemand weiß, ob persönliche Eitelkeit oder politisches Kalkül oder eine Mischung aus beidem ihn dabei leiteten. Die Jugendlichkeit ist schließlich sein Markenzeichen. Er war jüngster Landtagsabgeordneter in NRW, wurde „Bambi“ genannt. Er ist Autofan mit Rennfahrerlizenz. Er schreibt mit Alt-Liberalen wie Hans-Dietrich Genscher kluge Bücher, was viele auch deshalb so interessant finden, weil hier auf den ersten Blick Jung und Alt zusammengefunden haben. Der Versuch, diese Jugendlichkeit mit chirurgischen Mitteln zu konservieren, ist gerade für Lindner riskant. Seine Kritiker nennen ihn einen begnadeten Polit-Darsteller, der gut reden und auftreten könne, dem aber als wichtigste Überzeugung der Blick für die strategische Marktlücke zu Eigen sei. Die Sorge ums Haupthaar dürfte künftig noch häufiger als Beleg für eine gewisse Künstlichkeit bemüht werden.
Womöglich markiert Lindners Transplantation aber auch den Einstieg in eine neue Gelassenheit im Umgang mit dem Politiker-Aussehen. Man hat schließlich schon zahlreiche öffentliche Typ-Veränderungen mit großem Tamtam begleitet, die heute keinen mehr aufregen könnten: Joschka Fischers Abspeckläufe, Christian Wulffs Frisurenwechsel, Frank-Walter Steinmeiers Wiederentdeckung der Hornbrille, Karl-Theodor zu Guttenberg im ACDC-T-Shirt. Und dass während der langen Geschichte des Bundestags in den Abgeordnetenbänken immer schon das eine oder andere Haarteil getragen wurde, ist ja auch nie Gegenstand politischer Auseinandersetzungen geworden.