Mehr als 50 Bewerbungen, die Özcan Baki geschrieben hat, waren ohne Erfolg – „weil die Firmen keinen Gehörlosen beschäftigen wollten“, sagt der 34-Jährige. Heute ist er Kfz-Schlosser bei Daimler Benz in Düsseldorf – und hat dort 336 Kollegen, die wie er als Schwerbehinderte eingestuft werden.
Düsseldorf.
Elektronische Pressen, die krachend aufeinanderschlagen, die dröhnenden Riesen-Akkuschrauber, die hupenden Gabelstapler – der Lärm ist ohrenbetäubend. Kein Ort für Gespräche. Doch Gespräche führt der 34-jährige Kfz-Schlosser auch nicht – zumindest nicht mit gesprochenen Worten. Er verständigt sich mit Gestik und Mimik – der Gebärdensprache. Özcan Baki ist gehörlos.
Ebenso wie insgesamt 338 Schwerbehinderte bei Daimler in Düsseldorf hat er den Einstieg in ein geregeltes Arbeitsleben gefunden. Es war ein steiniger: „Über 50 Bewerbungen wurden abgelehnt, weil die Firmen keinen Gehörlosen beschäftigen wollten“, beschreibt Baki die schwere Situation nach seiner Ausbildung zum Kfz-Schlosser.
Dozent für Gehörlosensprache
Als Dolmetscher ist Josef-Franz Krettek während des Gesprächs an Bakis Seite. Er ist Vertrauensperson aller Schwerbehinderter im Werk. Dabei fungiert er als eine Art „Sprachrohr in beide Richtungen“. Von der Unternehmensseite zu den eingeschränkten Angestellten, „aber auch anders herum“, beschreibt Krettek seinen Aufgabenbereich. Für Özcan Baki begann die berufliche Karriere bei Daimler im Jahr 2001. Zunächst wurde er zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Ein Termin ohne sprachliche Barrieren: „Wenn sich Gehörlose bei uns vorstellen, laden wir einen Gebärden-Dolmetscher mit zum Gespräch ein“, erklärt Mario Genovese, Personalbetreuer von Daimler in Düsseldorf.
Im Betrieb muss der 100-prozentig Hörgeschädigte ohne Dolmetscher auskommen. Integriert ist er trotzdem: „Meine Kollegen wollen sogar Gebärdensprache von mir lernen, ich bin also eine Art ‘Dozent für Gehörlosensprache’“, erzählt Baki vom täglichen Umgang mit seinen Arbeitskollegen.
Ebenfalls reibungslos und „normal“ agiert Mykola Shekhovych im Unternehmen. Der 25-Jährige ist zu 70 Prozent hörgeschädigt und damit ebenfalls schwerbehindert. Nach erfolgreich bestandenem Abitur folgte die Bewerbung bei Daimler. Er kannte die Vorzüge seines Arbeitgebers: „Viele meiner gehörlosen Freunde haben hier ihre Ausbildung absolviert“, nennt der junge Mann die Gründe dafür, sich für den Autobauer als Arbeitgeber zu entscheiden.
Ständiger Blickkontakt
„Es ist schon etwas Besonderes: Einen Schwerbehinderten mit Abitur haben wir selten hier“, sagt Ausbildungsmeister Michael Dengs über die hohe Qualifikation seines Azubis. Für ihn als Meister sei der Umgang mit seinen Azubis mit Behinderung unproblematisch. „Wir verständigen uns in leiser Umgebung und mit ständigem Blickkontakt.“
Langgezogene Fertigungsstraßen, alle 30 Meter eine gelb-schwarz gestreifte Markierung auf dem Boden. Hier darf der sensible Arbeitsbereich überquert werden. In der Montagehalle des weltweit größten Mercedes-Transporter-Werks läuft die Produktion. Özcan Baki steht an seinem Arbeitsplatz, der Türenvormontage. Damit er auch ohne akustische Anweisungen informiert ist, befinden sich an Bakis Station Hinweis- und Erklärungsschilder. Ausgestattet mit allgemein verständlichen Symbolen, helfen sie dem zweifachen Familienvater bei den Arbeitsabläufen.
Doch was geschieht in einer Gefahrensituation? Die Antwort darauf liefert ein Ampelsystem. Zusätzlich zum akustischen Alarm springt die Ampel auf „rot“ und ein grelles Blinklicht schaltet sich ein. Damit würden alle Mitarbeiter – ob eingeschränkt oder nicht – auf die Gefahrenlage aufmerksam gemacht, erklärt Personalbetreuer Genovese. Um auf diese besonderen Bedürfnisse behinderter Angestellter eingehen zu können, fördert der Landesverband Rheinland (LVR) Daimler finanziell.
„Da wir mit einer Quote von 8,9 Prozent schwerbehinderter Beschäftigter deutlich über der Pflichtquote von fünf Prozent liegen, fällt die finanzielle Förderung besonders üppig aus“, weiß Behinderten-Beauftragter Krettek. Das Geld werde ebenso in Ausbildungspersonal investiert, wie in die technische Ausstattung behindertengerechter Arbeitsplätze. „Ohne die Unterstützung des LVR wäre die Integration Behinderter in dieser Weise nicht möglich“, verdeutlicht Krettek die Rolle des LVR.