Elektro-Rollis dürfen in die Bahn – aber E-Scooter sind in vielen Städten verboten. Die Sozialverbände fürchten eine Rückkehr zur Unselbstständigkeit.
Köln.
Im Körbchen liegen große modische Kopfhörer und eine durchgeblätterte Zeitschrift. Die matt blaue Verkleidung verbindet Lenker, Sitz, die vier Gummiräder und den Korb. Ein wenig ähnelt das Elektrogefährt, auf dem Erich Domurath da sitzt, einem Golfmobil. Nur deutlich kleiner, ohne Dach und mit bloß einem Sitzplatz. Mit einem Ruck setzt der 57-Jährige seinen „E-Scooter“ zurück. Flink schaltet er in den Vorwärtsgang und nimmt Anlauf. Ein dumpfer Laut begleitet seine Einfahrt in die Linie 3 am Kölner Neumarkt.
Nun steht Domurath dort: Die Vorderreifen innerhalb, die Hinterreifen außerhalb der U-Bahn. Knappe acht Zentimeter Unterschied liegen zwischen Bahnsteig und Bahn – selbst für das antriebsstarke Elektromobil des Rentners zu viel. Ein Passant eilt herbei und schiebt ihn in den Wagen. „Ohne Hilfe habe ich keine Chance“, sagt der gehbehinderte Mann. Sein Arzt hat ihm das Mobil verschrieben. Nächster Halt: Appellhofplatz, Ausstieg in Fahrtrichtung rechts.
Rentner lässt sich Selbstständigkeit nicht nehmen
Umständlich wirkt das. Mit dem engen Aufzug hinab, den E-Scooter durch den Schwall hastig ein- und aussteigender Fahrgäste bugsieren – und dann ist da noch der hohe Einstieg. Doch was Erich Domurath mit Mühe und Übung gelingt, das darf er eigentlich gar nicht. Wie viele andere haben die Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) entschieden, den E-Scootern die Mitfahrt zu verbieten. Erich Domurath bringt dafür kein Verständnis auf. „Eine Unverschämtheit“, findet er. Seine Selbstständigkeit wolle er sich nicht nehmen lassen. Der Rentner fährt weiter mit der Stadtbahn. „Zivilen Ungehorsam“ nennt er das.
Seit der Verband Deutscher Verkehrsunternehmer (VDV) Gutachten zum Unfallrisiko durch E-Scooter veröffentlicht hat, reiht sich Verbot an Verbot. Ob Bochum, Köln, Duisburg, Dortmund, Gelsenkirchen, Herten oder Bottrop – Straßenbahnen und Busse dürfen keine Elektromobile mehr mitnehmen. Bei der Düsseldorfer Rheinbahn sind bisher nur Busse tabu. Die Studiengesellschaft für unterirdische Verkehrsanlagen (STUVA) fand in dem Gutachten heraus, dass die Mobile beim scharfen Bremsen wahrscheinlich umkippen – wenn jemand darauf sitzt.
In dem Gutachten heißt es auch, dass die Kippgefahr bei unbesetzten Mobilen „unwahrscheinlich“, beziehungsweise „praktisch ausgeschlossen“ sei. Die STUVA führte keine eigenen Tests durch, sondern nutzte Berechnungen eines anderen Gutachtens.
Rollstühle dürfen auch weiterhin in den Bus
Rollstühle mit Elektroantrieb dürfen dagegen weiterhin in Bussen und Bahnen parken. Sie stehen durch ihre kompaktere Bauweise sicherer. Elektromobile müssen oft quer zur Fahrtrichtung stehen, Elektrorollstühle hingegen sind wendiger. Mit durchschnittlich etwa 4000 Euro kosten sie allerdings auch doppelt so viel wie „E-Scooter“.
Norbert Killewald (SPD) ist Beauftragter der nordrhein-westfälischen Landesregierung für Behinderte. Den Beschluss der Verkehrsbetriebe nennt er „Schwachsinn hoch drei“ und eine „Katastrophe“. „Das ist eine Kampfansage an die Behinderten und ein destruktives Verhalten“, sagt Killewald. Schnellstens müsse eine Lösung her.
Bei den KVB ist man sich der Probleme für die Betroffenen bewusst. Das Unfallrisiko sei aber einfach zu hoch, teilt KVB-Sprecher Stephan Anemüller mit. Da es nun ein Gutachten dazu gebe, könnten die Betriebsleiter bei Schäden haften. Dies könne das Unternehmen nicht riskieren. „Wir wissen, dass das den Menschen derzeit nicht weiterhilft“, sagt Anemüller. Aber Umbauten an den Bahnen seien auch finanziell nicht umsetzbar. Die KVB wollen daher mit Herstellern und Krankenkassen über Lösungen sprechen. Die Betroffenen sollen bei einem „Runden Tisch“ zu Wort kommen.
Noch einen anderen Blick auf das Problem hat Carsten Ohm. Er ist beim Sozialverband VDK in NRW für Sozialpolitik zuständig. Ohm weist auf das Personenbeförderungsgesetz und die UN-Behindertenrechtskonvention hin. Bis spätestens 2022 muss der Nahverkehr barrierefrei sein. „Man muss sich Lösungen überlegen, indem man an Sicherheitsapparaturen denkt“, fordert Ohm. „Dazu müssen auch Mittel aus dem Haushalt bereitgestellt werden“, sagt Ohm in Richtung Politik.
Erich Domurath bringt das vorerst nichts. Bald hat er wegen seines achtzehnfachen Bruchs im rechten Fuß einen Arzttermin. Vielleicht hat seine Krankenkasse den teuren Elektrorollstuhl bis dahin genehmigt. Sonst will er sich weiter über das Verbot hinwegsetzen. (dpa)