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Durch die Katastrophe verlor Edith Jakubassa ihre Tochter„…und dann ist sie mir wieder ganz nah“

Durch die Katastrophe verlor Edith Jakubassa ihre Tochter

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Foto: Marc Albers
Vor drei Jahren wird die 21 Jahre alte Duisburgerin Marina bei dem Gedränge im Duisburger Tunnel so schwer verletzt, dass sie bald darauf stirbt. Ihre Mutter fühlt immer noch Trauer, aber auch Trost. Sie ist sich sicher: „Meine Tochter ist an einem besseren Ort“.

Duisburg. 

Trauer und Trost. Edith Jakubassa wird heute beide Gefühle im Herzen tragen, wenn sie am Nachmittag mit ihrem Mann zur Einweihung der Gedenkstätte gehen wird. So schmerzlich die Erinnerung an Marinas Tod vor drei Jahren sein wird, so sehr freut sie auch auf die Linderung, die dieser Tag mit den Angehörigen der weiteren 20 Opfer verspricht. Gemeinsames Gedenken. Oder, wie Edith es sagt: „Mir ist doch nur wichtig, dass die Kinder nie vergessen werden.“

Marina war 21 Jahre alt, als sie am 24. Juli 2010 gegen 14 Uhr den Friseursalon verlässt, in dem sie eine Ausbildung macht. Mit vier Freunden und so vielen anderen jungen Menschen geht sie zur Loveparade. Sie gerät in das mörderische Gedränge im Tunnel, wird erst gerettet und ins Krankenhaus gebracht, doch die inneren Verletzungen sind so folgenschwer, dass sie zwei Tage später stirbt. „Wir konnten uns so wenigstens von ihr verabschieden“, wird ihre Mutter später sagen, „die anderen Eltern konnten nicht mal das.“

Drei Jahre später: Die Hitze der letzten Tage hat unser Gespräch in den Garten des Mietshauses in Duisburg-Hochheide verlegt. Edith gießt Kaffee ein und sagt: „Mir geht’s gut. Nein wirklich, ich habe inneren Frieden gefunden.

Ich will versuchen, es zu erklären: Zwei Jahre vor der Katastrophe ist meine Mutter gestorben. Und Marina, die sehr an ihrer Oma hing, hat mir einen Kalender gebastelt, so einen mit einem Foto für jeden Monat. Auf einer Seite stand der Sinnspruch: ‘Du bist nicht fort, du bist nur an einem anderen Ort.’ Das hat mir damals geholfen und jetzt wieder. Meine Tochter ist an einem besseren Ort. Ich glaube das nicht, ich weiß es.“

Friedhelm Scharff, ihr Mann, der Stiefvater von Marina, lächelt dazu und sagt: „Am Anfang hätte ich nicht geglaubt, dass sie so gut damit klar kommt. Ich habe mir wirklich viele Gedanken gemacht, wie fängst du sie auf, wenn Edith mal zusammenbricht. Aber sie hat es geschafft.“

Seine Frau will das noch näher erklären: „Ich glaube nun mal an das Leben nach dem Tod. Marina ist nicht weg. Manchmal erscheint sie mir auch. Also jetzt nicht als sichtbare Person. Eher in so bestimmten Situationen… Ein Beispiel: Ich liege auf dem Bett, die Augen zu, ich bin allein, es ist ganz ruhig, plötzlich spüre ich nur, dass sich jemand zu mir aufs Bett setzt. Da weiß ist, das ist sie. Dann ist sie mir ganz nah…“

Zum Friedhof geht sie dagegen selten. „Einmal im Jahr vielleicht. Aber ich spüre da nichts.“ Friedhelm geht öfter hin. „An den Feiertagen zum Beispiel. Ich bleibe dann einen Moment und denke an sie. Jeder Mensch entwickelt da wohl seine ganz eigene Art.“

Es gibt gute Tage, es gibt schlechte für Edith. „Jetzt geht es langsam auf ihren Geburtstag im September zu. Dann fängt immer die Grübelei im Kopf an. Wie alt wäre sie jetzt, klar, die Ausbildung wäre schon vorbei, hätte sie schon einen guten Job, wäre sie vielleicht sogar schon verheiratet?“ Edith stockt kurz und sagt dann doch: „Wäre ich vielleicht schon Oma…?“

Sie hat ganz bewusst viele Anziehsachen, auch Schuhe von Marina aufgehoben. „Das war bei uns wie bei vielen Müttern und Töchtern. Sie hat meine Klamotten immer angezogen, ihre durfte ich natürlich nicht ausleihen. Manchmal zieh ich jetzt eins ihrer T-Shirts an und sage so im Spaß.

‘Siehste Ina, jetzt kannste meckern wie du willst, ich hab’s schon an’.“ Sie hält wieder einen Moment inne. „Ja, ich rede manchmal richtig mit ihr. Aber ich glaube, das machen doch alle Menschen, dass sie mit Verstorbenen reden, oder? Viele trauen sich doch nur nicht, das zuzugeben.“

Verwandte Seelen finden die beiden vor allem bei den Angehörigen anderer Opfer. Friedhelm: „Wir haben zwei Elternpaare, mit denen treffen wir uns auch mal privat. Das ist einfach schön. Wir reden dabei gar nicht mal so viel über die Sache damals. Aber wir haben einfach das gleiche Fundament, auf dem das Verständnis aufbaut. Zusammen sind wir stark…“

Von diesen neuen Freunden wissen sie auch, dass nicht sie allein das Bedürfnis nach weiterer Aufklärung der Katastrophe haben. „Die sind sogar noch aufgebrachter als wir, wenn wieder mal herauskommt, dass mit Unterlagen geschlampt wurde.“ Edith fast die Gedanken zu einer Forderung zusammen: „Es muss jetzt endlich zur Gerichtsverhandlung kommen. Ich werde da jeden Tag hingehen. Ich will verstehen, warum das alles so geschehen ist.“ Für die Trauer, für den Trost.