- Viele Hilfsorganisationen engagieren für Spenden- und Mitgliederwerbung Agenturen
- Das ist effektiv, kostet aber auch – häufig etwa einen Jahresbeitrag pro gewonnenen Spender
- Kritiker: „Agenturen machen Profit mit Non-Profit“
Essen.
Rund 620.000 gemeinnützige Vereine und 20.000 Stiftungen gibt es in Deutschland. Sie alle sind auf eines angewiesen: Spenden. Doch diese sammeln die Hilfsorganisationen meistens gar nicht selbst, sondern beauftragen Fundraising-Agenturen mit der Spenden- und Mitgliederwerbung.
Ein gemütlicher Bummel durch die Einkaufsstraße, plötzlich stellt sich ein junger Mann in den Weg. „Wollen sie nicht diesem armen Mädchen aus Afrika helfen?“, fragt er. Er nennt einen Namen, zeigt unaufgefordert schockierende Bilder von dem völlig abgemagerten Mädchen – und ein Armband, das er als Dank für seine Hilfe von dem Mädchen bekommen hat.
Er rückt nicht ab, erhöht den emotionalen Druck mit jedem weiteren Wort. Man wird ehrfürchtig, bekommt ein schlechtes Gewissen. Ein schlechtes Gewissen, das einem von jemanden eingeredet worden ist, der genau dafür bezahlt wird: einem Spenden- und Mitgliederwerber, beauftragt von einer Hilfsorganisation.
Mischung aus pauschaler und leistungsbasierter Bezahlung
Gegen die Straßen- und Haustürenwerbung, die von bekannten Hilfsorganisationen aber auch unbekannten Vereinen durchgeführt wird, sei prinzipiell nichts einzuwenden, meint Burkhard Wilke vom Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI). „Solange eben kein emotionaler Druck bei der Anwerbung ausgeübt wird.“ Doch genau das ist häufig der Fall – vor allem, wenn Agenturen mit im Spiel sind.
Kein Wunder, schließlich verdienen diese so ihr Geld. „In vielen Fällen wird mit einer Mischung aus pauschalen und leistungsorientierten Gehältern gearbeitet“, erklärt Wilke. Heißt: Je mehr Verträge ein Dialoger, wie die Werber in Fachkreisen genannt werden, abschließt, desto höher fällt die Provision aus, die er von der Hilfsorganisation bekommt.
WWF, „World Vison“ und „Terres des Hommes“ setzen auf Agenturen
Aber wieso legen gemeinnützige Hilfsorganisationen überhaupt die Spenden- und Mitgliederwerbung in andere Hände? „Das Dialog-Marketing ist die effizienteste Möglichkeit, potentielle Spender über das eigene Thema zu informieren. Da braucht es dann auch professionelle Kräfte“, sagt Iris Manne, Sprecherin von „World Vision“. Die eigenen Mitarbeiter würden sich zwar am stärksten mit der Organisationen identifizieren, seien oftmals aber nicht die besten Werber.
Auch die Hilfsorganisationen WWF und „Terres des Hommes“ arbeiten mit professionellen Partner-Agenturen zusammen. Stephan Stolze, Referatsleiter Spenden bei „Terres des Hommes“, spricht sich allerdings klar gegen die unseriösen Methoden der Agenturen aus. „Unser Vergütungsmodell, das zum größeren Teil aus einem Festhonorar und nur zum kleineren Teil aus erfolgsbasierter Provision besteht, verhindert, dass unsere Dialoger aggressiv und emotional anwerben“, sagt Stolze. Auch beim WWF seien die Verträge mit den Agenturen stark an Qualitätskriterien gebunden.
Kritiker: Zusammenarbeit ethisch nicht zu rechtfertigen
Unabhängig von der Art und Weise des Anwerbens sehen Kritiker allerdings generell ein Problem darin, dass Non-Profit Organisationen Unternehmen damit beauftragen, in ihrem Namen auf Spendensuche zu gehen. Einer von ihnen ist Kevin Brutschin. Der Schweizer hat selbst einige Jahre bei mehreren Hilfsorganisationen gearbeitet, aufgrund der Vorgehensweise bei der Suche nach Neu-Spendern allerdings gekündigt. „Die Agenturen machen Profit mit Non-Profit“, sagt er. Die Zusammenarbeit zwischen Hilfsorganisationen und kommerziellen Agenturen sei ethisch einfach nicht zu rechtfertigen.
Ein weiteres Problem sei die rückläufige Entwicklung in Sachen Neu-Spendergewinnung. Während ein Dialoger laut Brutschin vor 20 Jahren noch rund acht Spender pro Tag anwerben konnte, seien es heute bloß noch zwei bis vier. Die Spendensumme fällt nach Angaben des Schweizers also deutlich geringer aus, die Festhnorare für die Agenturen seien jedoch immer noch die gleichen. Dementsprechend befürchten Kritiker, dass der größere Teil der Spendensumme bei den Agenturen landet – und eben nicht da ankommt, wo sie ankommen sollte.
Kosten pro Spender belaufen sich auf einen Jahresbeitrag
„Grundsätzlich ist es schon deutlich schwieriger geworden, Spender zu finden, im Dialog-Marketing allerdings nicht“, erklärt Iris Manne von „World Vision“. Im vergangenen Jahr konnte die Hilfsorganisation durch das Face-to-Face-Fundraising rund 5000 Neuspender gewinnen, die durchschnittlich 108 Euro pro Jahr spenden und im Schnitt vier bis fünf Jahre Mitglied bleiben. „Von der Spendensumme geht ein Jahresbeitrag an die Agentur“, erklärt Manne.
Ähnlich sieht es beim WWF aus. „Wir würden das nicht machen, wenn es dem WWF nichts bringen würde“, sagt Jörg Ehlers von der Umweltorganisation. „Unsere Analysen zeigen, dass uns ein so genannter Pate circa sechs Jahre die Treue hält und im Schnitt etwa 1000 Euro spendet. Die vollen Kosten auf diesen Einsatz wären dann 120 Euro, also rund zwölf Prozent.“
Diese Werte bestätigt auch Burkhard Wilke vom DZI: „Nach unseren Informationen belaufen sich die Kosten pro Spender für die Organisationen auf 80 bis 110 Prozent eines Jahresbeitrages.“
Einige Organisationen setzen auf Inhouse-Konzepte
Allerdings gibt es auch Hilfsorganisationen, die die Standwerbung in Eigenregie durchführen. Ein Beispiel: „Ärzte ohne Grenzen“. Seit 2007 stemmt die Organisation die Standwerbung in Eigenregie. „Die Identifikation mit Ärzte ohne Grenzen und der kompetente, professionelle und seriöse Kontakt zwischen den potentiellen Spendern und unserer Organisation ist uns ein hohes Anliegen“, erklärt Katrin Dehmel, die das Face-to-Face-Fundraising koordiniert.
Kosten für die Spenden- und Mitgliederwerbung hat die Organisation dennoch. Diese seien jedoch nach kurzer Zeit refinanziert, so Dehmel. Insgesamt sind bei „Ärzte ohne Grenzen“ im vergangenen Jahr sieben Prozent der Einnahmen in die Spendenverwaltung und Spendenwerbung geflossen – das offenbart der Jahresbericht. 87 Prozent, und damit der deutlich größere Teil, ging hingegen direkt in die Projekte.
DZI-Prüfsiegel hält 30 Prozent Werbe- und Verwaltungskosten für vertretbar
Ein Prozentsatz der auch bei der Vergabe des DZI-Prüfsiegels eine große Rolle spielt. „Es müssen mindestens 70 Prozent aller Einnahmen in die Programmarbeit gehen“, erklärt DZI-Geschäftsführer Burkhard Wilke. Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen sieht Werbe- und Verwaltungskosten in Höhe von bis zu 30 Prozent für vertretbar an – egal ob in Eigenregie oder mit einer Agentur.
>>> Linktipp:
Spenderberatung des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI)