Die Düsseldorfer Richterin Havliza nimmt für den Staatsschutz seit Jahren erhebliche private Belastungen in Kauf und bringt sich teilweise in Gefahr.
Düsseldorf.
Enthauptungsvideos und verschlüsselte Morddrohungen gehören zu ihrem Alltag: Barbara Havliza hat einen der härtesten Jobs in der deutschen Justiz. Seit Jahren sitzt die Vorsitzende Richterin am 6. Strafsenat für Staatsschutzsachen des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) radikalen Wirrköpfen gegenüber – sowohl aus der rechtsextremen als auch aus der islamistischen Szene.
Im vergangenen Juli hatte sie zuletzt 14 Jahre Haft für den Attentäter verhängt, der die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker fast umgebracht hatte. Jetzt gab die gestandene Juristin im Hochsicherheitstrakt des OLG einen seltenen Einblick in ihr Seelenleben: „Das Grauen, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen, bleibt niemandem in der Robe sitzen.“
„Da gehen Sie nicht nach Hause und haben das vergessen“
Eine kleine Kostprobe für Medienvertreter, die an dem Tag von NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) eingeladen sind, „den herausragendsten Prozessstandort für terroristische Verfahren in Deutschland“ kennenzulernen. Unvermittelt flimmern verwackelte Kamera-Sequenzen über zwei Leinwände des nüchternen Gerichtssaals: Schwenks über Dutzende tote junge Männer in sandigem Gelände. Die Leichen werden getreten und malträtiert. „Dreck!“, kommentiert in dem Propaganda-Video eine deutsche Stimme das aus seiner Sicht verdiente Schicksal der „Ungläubigen“.
„Da gehen Sie nicht nach Hause und haben das vergessen“, sagt Havliza. „Das kann man nicht vergessen, wenn lebendigen Leuten die Köpfe abgeschnitten werden.“
Richter ziehen Hass der „Gotteskrieger“ auf sich
Im März hatte die 58-Jährige einen IS-Terroristen aus Dinslaken zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Er hatte in Syrien als Helfer islamistischer Henker sein Unwesen getrieben. Als Justitias menschliches Gesicht ziehen die Richter den Hass der „Gotteskrieger“ auf sich. „Wir sind für manche Angeklagte ein Feindbild“, berichtet Havliza. Im anonymisierten Schattenreich des Internets, dem „Darknet“, gebe es Aufrufe, die sie nur als Morddrohungen verstehen könne.
Die Konsequenz: Richter, die sich dieser Gefahr aussetzen, müssen häufig ihr Zuhause sicherheitstechnisch aufrüsten lassen. „Es ist schwierig, neue Leute in den Senat zu bekommen“, bilanziert Havliza. „Wenn Ehepartner und Kinder zuhause sitzen und fragen: „Was machst du denn da?“ – das ist verständlich.“
Sicherheitsmaßnahmen kosten jedes Jahr Millionen
Dabei brauchen die inzwischen in drei Staatsschutzsenaten arbeitenden 22 Richter in Düsseldorf jede Unterstützung. „Nordrhein-Westfalen ist eine Islamisten-Hochburg“, stellt Havliza fest. Mit weiter steigenden Fallzahlen müsse gerechnet werden. Ihr nächster Fall wird am 6. September Salafisten-Prediger Sven Lau sein, der unter anderem die Wuppertaler „Scharia-Polizei“ initiiert und für eine syrische Terrorgruppe aktiv gewesen sein soll.
Den Staat kosten die aufwendigen Prozesse und die Sicherheitsmaßnahmen jedes Jahr Millionen. Allein die Dolmetscherkosten könnten sich auf mehrere 10.000 Euro am Tag belaufen, berichtet Kutschaty. Der Rechtsstaat sei aber wehrhaft und wappne sich gegen neue Bedrohungen.
„Einen zutiefst überzeugten Täter erreiche ich nicht.“
So sollen in diesem Jahr Pädagogen, Sozialarbeiter, Sicherheitspersonal, Wissenschaftler und Dolmetscher auf insgesamt 79 zusätzlichen Planstellen für Deradikalisierung im Strafvollzug sorgen. Außerdem werde mit insgesamt 12 Stellen ein „Kompetenzzentrum Justiz und Islam“ als Anlaufstelle für Beratung und Unterstützung aufgebaut.
Manchmal schöpft Richterin Havliza einen Funken Hoffnung, dass die jungen Angeklagten und ihre verblendeten Kumpane erkennen, wohin ihre Verrohungsfantasien führen. „Einige sind über sich selbst zutiefst entsetzt“, erinnert sie sich. Illusionen hat sie aber nicht: „Einen zutiefst überzeugten Täter erreiche ich nicht.“
Ihre eigene Rolle definiert sie entsprechend nüchtern: „Festzustellen, ob die Dinge so geschehen sind. Und Signale zu senden: Sieh, wo du landest – das lohnt sich nicht. Meine Rolle ist nicht die des Moralapostels.“ (dpa)