Agbogbloshie in der ghanaischen Hauptstadt Accra gilt als einer der verseuchtesten Orte der Erde. Hier wird Elektromüll auch aus Deutschland wiederverwertet. Arbeiter und Umwelt leiden unter den katastrophalen Bedingungen. Die NRZ war vor Ort.
Accra.
Ahmad steht auf dem morastigen Grund und stochert in dem brennenden Kabel-Knäuel. Eine dicke schwarze, schmierige Rauchwolke steht in der Luft. Ein Freund zertrümmert einen Kühlschrank. Sie brauchen den Schaumstoff als Anzündhilfe. Ahmad arbeitet seit einem Jahr hier auf dem Schrottplatz Agbogbloshie, auf einem der am stärksten verseuchten Orte der Welt. Hier wird der Wohlstandsmüll der Ersten Welt verwertet.
Old Fadama im Westen der ghanaischen Hauptstadt Accra. Windschiefe bunte Häuser, Marktstände, an denen Frauen Zwiebeln, Tomaten, Möhren, Bananen und Yam verkaufen. Auf einem alten Bus meckert eine Ziege. Die Straßen sind voll, laut, schmutzig. In Accra wird Old Fadama auch „Sodom und Gomorrha“ genannt. Ein Slum mit schätzungsweise 80 000 Einwohnern, gewuchert seit den neunziger Jahren da, wo einmal eine Lagune und ein Vogelschutzgebiet waren.
2,20 Euro für einen Tagin schwarzem Rauch
Agbogbloshie liegt am Rand von Old Fadama. Hier gibt es keine Marktstände und bunte Häuser und Straßen mehr, hier stehen Bretterbuden, ausrangierte Container, Wege schlängeln sich durch Berge aus alten Motoren, Computern, Fernsehern, Kühlschränken, Autobatterien und anderem Elektroschrott. Öllachen färben den Boden an vielen Stellen schillernd-schwarz, sonst ist er von Plastikmüll und Scherben bedeckt.
Männer zerschlagen die Geräte mit Steinen und Hämmern, Frauen verkaufen Wasser und Obst, das sie auf dem Kopf über den schlüpfrigen Grund balancieren, Kühe und Ziegen suchen im Müll nach Fressbarem. Da, wo der Schrottplatz in die gigantische städtische Müllhalde übergeht, arbeiten Ahmad und seine Freunde, die „Kabelverbrenner“, die fast ganz unten sind in der Hierarchie in diesem Mikrokosmos. Sie zünden die Kabel an, um an das Kupfer darin zu kommen. Unter ihnen stehen nur noch die Sammler, die allzu oft noch jünger sind als Ahmad.
Das Chaos in Agbogbloshie ist bei näherem Betrachten keines, jeder hat seinen Platz. Es gibt Sammler, Zulieferer, die Verbrenner, die Spezialisten für das Auseinandernehmen von Kondensatoren und Motoren, die Händler, selbst Computerunternehmer, die alte Festplatten wieder in Schuss bringen – und manchmal, so heißt es, Europäer erpressen, wenn sie darauf verfängliches Material finden.
„Ich bin vor einem Jahr hierher gekommen“, erzählt Ahmad. Er ist 15, stammt aus einem kleinen Dorf im Norden Ghanas. Seine Eltern sind Bauern. „Sie wissen, was ich hier tue und sie finden es nicht gut.“ Jeder hier weiß, dass es gesundheitsgefährdend ist, womit sie hier ihr Geld verdienen. 10 ghanaische Cedi, umgerechnet 2,20 Euro, verdient Ahmad am Tag. Vier Cedis gibt er für Essen aus und für die Dusche, mit der er sich abends den Rauch und Dreck und Gestank wegwäscht. 25 Cedis zahlt er pro Woche für seinen Schlafplatz, einen kleinen Raum, den er sich mit neun anderen Arbeitern teilt.
Im Jahr werden aus Deutschland 150 000 Tonnen Elektroaltgeräte exportiert. Geräte, deren Reparatur sich nicht mehr lohnt, die selbst auf Ebay keine Käufer mehr finden. Das allermeiste landet in Afrika, ein Großteil in Ghana. Dazu kommt der Elektroschrott, der auch in die Tausende Tonnen geht. Sein Export ist zwar verboten, raus geht er trotzdem noch. Die Zollfahndung hat allein im vergangenen Jahr 23 Ermittlungsverfahren wegen dem illegalen Handel mit Abfall eingeleitet, nur die Spitze eines Eisbergs. Entsorgung in Deutschland ist teuer. Entsorgung in Afrika ist billig.
Viele der alten Geräte werden in Ghana repariert, sind dann noch einige Zeit im Gebrauch. Irgendwann landen sie aber alle in Agbogbloshie, wo Menschen wie Ahmad sie auseinandernehmen, um an die Wertstoffe, das Metall zu kommen. Mit katastrophalen Folgen für die Umwelt und die Menschen. Boden, Grundwasser, das nahe Meer sind mit Blei, Quecksilber, Chrom, Nickel und Dioxin verseucht. In Blut und Urin der Arbeiter sind bei einer kürzlich durchgeführten Untersuchung deutlich erhöhte Blei-, Nickel und PCB-Werte festgestellt worden. Die Untersuchung hat die RWTH Aachen gemeinsam mit der Uni in Accra durchgeführt. Diese Untersuchungen sollen ausweitet werden, auch mit Geld aus Nordrhein-Westfalen.
Ghana ist Partnerland von NRW. Die Staatskanzlei und das Bundesentwicklungsministerium finanzieren jetzt eine Gesundheitsstation, die von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) aufgebaut wird. Eine sinnvolle Idee, findet Mohammed Adam Mohammed. Der 42-Jährige steht in Agbogbloshie in der Hierarchie um einige Stufen höher, er ist Funktionär in der Gewerkschaft der Schrotthändler. „Wir haben hier jeden Tag Verletzungen, vor allem Schnittwunden.“ Wunden, die schwer heilen. „Es ist gut, wenn die Leute hier eine billige Behandlung bekommen können.“
„Das Geschäft muss weitergehen. Nur das Verbrennen muss aufhören“
Natürlich, sagt Mohammed, wüssten die meisten Leute, welchen Gefahren sie sich hier aussetzen. „Einige Leute sind sehr gebildet.“ Aber selbst die, die von ihren schlechten Blutwerten erfahren haben, hätten nicht aufgehört zu arbeiten. „Woher sollen sie auch sonst Geld bekommen?“ Ja, es sei auch nicht gut, dass hier Kinder arbeiteten. „Aber es wäre nicht fair, jemandem, der um sein Leben kämpft, die Arbeit zu nehmen.“ Mohammed möchte auch nicht, dass Agbogbloshie geschlossen wird. „Das Geschäft muss weitergehen. Nur das Verbrennen muss aufhören.“
Wenige Meter weiter steht Ahmad, rußgeschwärzt. Warum er sich das hier antut? „Ich will Geld sparen, um weiter zur Schule gehen zu können. Ich will Doktor werden.“