Zwei Juristen der Landtagsverwaltung treiben den Etatstreit mit ihrem Gutachten in die Eskalation. Spekulationen über versteckte Interessen an Neuwahlen machen die Runde. Und bei den gescheiterten Taktierern macht sich Katzenjammer breit.
Düsseldorf.
Die Zukunft Nordrhein-Westfalens liegt in einem geduckten Zwischengeschoss des Düsseldorfer Landtags. Im Büroraum „E2 Z02“ versieht Hans-Josef Thesling seinen Dienst. Der promovierte Jurist nennt sich „Abteilungsleiter I“ der Landtagsverwaltung und überwacht den ordnungsgemäßen Ablauf der Parlamentsentscheidungen. An normalen Tagen verirrt sich kein Besucher zu ihm. Doch heute fängt seine Sekretärin ungebetene Gäste schon auf dem Flur ab und versichert eilig, der Chef sei zurzeit nicht zu sprechen. Wie lange „zurzeit“ dauert? Den gesamten Tag.
Der Verdacht
Wenn man so will, gehört Thesling zu den Mitschuldigen an den Neuwahlen in NRW. Er hatte am Montag erstmals gegenüber dem Landtagsdirektor ernste Zweifel daran geäußert, dass es mit der Abstimmung über den Landeshaushalt so vor sich gehen könne, wie die Fraktionen das offenbar planten. Immer deutlicher werde, so die Interpretation der Abteilung Thesling nach Lektüre der jüngsten Pressespiegel, dass FDP und Linke den Haushaltsentwurf der rot- grünen Minderheitsregierung an diesem Mittwoch in zweiter Lesung abzulehnen gedachten. Ihr Abstimmungs- verhalten beim Schlussvotum am 29. März wollten sie dennoch offen halten.
Das Doppelspiel
Ablehnen und dann nachverhandeln – das gehe einfach nicht. Man könne nicht einen Etat in den Einzelplänen für die zehn Ministerien abschmettern, später in der Gesamtheit aber doch passieren lassen. Die entscheidende Aussage in einem Vermerk von Theslings Referatsleiter Olaf Schade lautet: Auch die Schlussabstimmung kann die Ablehnung im Einzelplan nicht mehr heilen.
Am Dienstagmorgen wird Landtagspräsident Eckhard Uhlenberg (CDU) informiert. Eine schriftliche juristische Ausarbeitung ist gefertigt. Danach konfrontiert Uhlenberg das Landtagspräsidium und am Nachmittag die Fraktionsspitzen mit der brisanten Einschätzung. Schnell greifen Spekulationen um sich über ein „bestelltes“ Gutachten, das die absehbare Verständigung zwischen der rot-grünen Minderheitsregierung und der FDP über eine Nachbesserung des Haushalts auf den letzten Metern torpedieren soll.
Die Verschwörungstheorien
Wer könnte ein Interesse haben an einem solchen Manöver, das unweigerlich in Neuwahlen münden muss? Rot-Grün hat 90 Stimmen, die geschlossene Opposition 91. Jede Regierung braucht einen gültigen Finanzrahmen.
Thesling arbeitete bis vor einigen Jahren in der Staatskanzlei, wurde aber noch von der früheren CDU-Landtagspräsidentin Regina van Dinther in die Parlamentsverwaltung berufen. Olaf Schade war einst Fraktionsjustiziar der SPD. Von Verschwörungstheorien will ein Landtagssprecher nichts wissen. Die Fachabteilung sei nur ihrer Beratungsfunktion nachgekommen. Es gehe um rechtliches Neuland.
Der Trugschluss
Bislang habe es in der NRW-Geschichte stets klare Haushaltsmehrheiten gegeben. Und bei der ersten Etatabstimmung der Minderheitsregierung 2011 habe sich die Linkspartei bereits in der zweiten Lesung enthalten.
Wie konnte die FDP glauben, dass man bis zur Schlussabstimmung am 29. März in Ruhe mit Rot-Grün über eine mögliche Enthaltung weiterverhandeln könnte? Wie kam es bei erfahrenen Parlamentariern zu einer solch dramatischen Fehleinschätzung der eigenen Zockerei? Auf „unterschiedliche Rechtsauffassungen“ verweist ein FDP-Parteisprecher kleinlaut.
Die juristische Klärung für die Landtagsannalen wird wohl irgendwann die Abteilung Thesling vornehmen müssen. In gewohnter Ruhe.