In Afghanistan unterstützen 200 deutsche Polizisten die Ausbildung der afghanischen Polizei. Ein Job zwischen Stacheldraht, Sprachbarrieren und anderen Hindernissen. WAZ-Redakteur Gregor Boldt hat die Polizisten fünf Tage lang am Hindukusch begleitet.
Feyzabad.
Klar und frisch ist die Luft an diesem Morgen. Die Sonne scheint angenehm warm und der Taliban hat länger nichts von sich hören lassen. Die Aussichten für den Abend sind auch nicht schlecht. Es gibt Cordon Bleu und Fußball-Bundesliga live. Willkommen in „Bad Feyza“. So nennen deutsche Soldaten und Polizisten den Standort im Nordosten Afghanistans. Auch wenn in Feyzabad die Lage entspannter ist als im versmogten und unruhigen Kabul, die Mission, auf der sich deutsche Beamte zur Ausbildung der afghanischen Polizei befinden, ist alles andere als ein Kuraufenthalt.
Bereits der Anflug auf den „International Airport Feyzabad“ ist ein Abenteuer. Eine private südafrikanische Fluggesellschaft übernimmt den Shuttleservice für die 200 deutschen Polizisten des German Police Project Teams (GPPT) zwischen Kabul und Kundus, Masar-i-Sharif und Feyzabad. Da sich der Tower noch im Bau befindet, müssen die Piloten den von über 2000 Meter hohen Bergen eingerahmten Flugplatz auf Sicht anfliegen – im wahrsten Sinn des Wortes. Im Tiefflug steuern sie die 18-sitzige Propellermaschine über die Pontonplatten, die sowjetische Pioniere dort in den 80er Jahren während der Besatzung verlegt hatten. Dabei überprüfen sie die Landebahn auf mögliche Hindernisse wie Tiere, Steinbrocken oder schlimmeres. Danach hat der Magen Kirmes. Ist die Bahn frei, zieht das Flugzeug in einer steilen Linkskurve über das Tal, um dann holpernd auf der Metallpiste aufzusetzen.
Für 110 Euro Auslandszulage pro Tag
„Nach ein paar Mal gewöhnt man sich daran“, sagt Stefan Roling. Der Oberkommissar aus Münster hat sich für sechs Monate zu der Auslandsmission gemeldet, um „seinen Teil dazu beizutragen, Afghanistan in kleinen Schritten zu einer sicheren und friedlichen Zukunft zu verhelfen“. Die Motivation der Beamten ist unterschiedlich: Die einen, wie Stefan Roling, suchen Abwechslung vom Schichtdienst in der Heimat, andere lockt das Abenteuer und die Auslandszulage von 110 Euro pro Tag. Auch die kurze Flucht vor familiären Problemen in Deutschland kann für manchen Polizisten ein Anreiz sein.
Etwa 50 Rekruten stehen derzeit täglich auf dem staubigen Appell-Platz im Police Training Center (PTC) in Feyzabad. Der Flachbau mit Schlaf- und Waschräumen, Küche und Büros steht direkt neben dem Bundeswehr-Feldlager. Aus Mitteln der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) wird die Anlage um weitere Gebäude gerade ausgebaut. Im Juni 2012 soll dann Platz für 200 Auszubildende geschaffen sein.
Wie sie ihre afghanischen Schüler ansprechen und interkulturelle Fettnäpfchen vermeiden, haben die deutschen Lehrer in einem vierwöchigen Vorbereitungsseminar in Lübeck gelernt. Zurückhaltendes und freundliches Auftreten sowie ein höflicher Umgang lauten die Grundregeln für Begegnungen mit Afghanen. Dabei kommt es auf Kleinigkeiten an, wie die Sonnenbrille im Gespräch von der Nase zu nehmen. „Wichtig ist es, dass die Einheimischen ihr Gesicht wahren können, auch wenn sie etwas falsch gemacht haben. Sonst verlieren sie ihre Motivation und wir unsere Akzeptanz“, sagt Stefan Roling. Deshalb erfolgen Fehler-Analysen in der Regel nicht vor der versammelten Mannschaft. An diesem Morgen macht ein Kollege jedoch eine Ausnahme und lässt einen Rekruten strammstehen, weil er schon wieder zu spät zum morgendlichen Antreten gekommen ist. Dem Hinweis auf deutsche Disziplin und Pünktlichkeit antworten Afghanen gern: „Ihr habt die Uhren, wir haben die Zeit.“
In acht Wochen zum Polizisten
Spätestens 2014 wollen die Internationalen Truppen die Sicherheitsverantwortung für das Land den Afghanen übergeben. 134.000 Polizisten sollen bis dahin ausgebildet worden sein. Für etwa zehn Prozent sind die deutschen Beamten zuständig. Während das Studium zum Polizeioffizier in Kabul drei Jahre dauert, bekommen die Bewerber für den einfachen Streifendienst nur einen Acht-Wochen-Crash-Kurs für Recht und Ordnung. So soll die ehrgeizige Zielvoragbe bis 2014 erfüllt werden. Die Zeit rennt.
Lokale Dolmetscher sind stets dabei, um den Stoff in die Landessprachen Dari oder Paschtu zu übersetzen. Direkte Ansprachen sind deshalb kaum möglich – Unterricht über Bande. Da schätzungsweise 90 Prozent der Rekruten weder lesen noch schreiben können, erhält das 60-seitige Basis-Ausbildungsheftchen auch viele Bilder. Für die Bewerber ist der lebensgefährliche Job bei der Afghan National Police (ANP) die Chance auf einen bescheidenen Wohlstand. 150 US-Dollar Sold pro Monat sind viel Geld in einem Land, in dem Richter und Staatsanwälte nur 90 Dollar verdienen. Deshalb reißt ihre Zahl auch nicht ab, obwohl die Polizisten auf der Straße bevorzugtes Ziel für Anschläge der Taliban sind.
Da in dieser kurzen Zeit allenfalls rechtliche und praktische Grundlagen vermittelt werden können, schulen die deutschen Polizisten auch die afghanischen Ausbilder – in der Hoffnung, dass diese in Zukunft den Rekruten das deutsche Wissen vermitteln. Mentoring heißt das dann.
Neben den Trainings am Feldlager begleiten die Polizisten ihre afghanischen Kollegen auch zu ihren Einsatzorten im Hinterland. FDD – Focused District Development – wird dieses Konzept genannt. Dafür müssen die Beamten ihr sicheres Camp verlassen.
Im Konvoi durch die Berge
Im Zelt des Hauptfeldwebels der Bundeswehr wird die Bedrohungslage für Feyzabad als „mittel“ eingestuft. An den Straßen versteckte Minen, Selbstmordattentäter und einen Hinterhalt in unwegsamem Gelände nennt der Zugführer bei der Besprechung mit dem FDD-Team als mögliche Anschlagszenarien. Auch im vergleichsweise ruhigen Norden operieren „Insurgenten“. So werden die Taliban hier in Anlehnung an das englische Wort für Aufständische (Insurgents) bezeichnet. Deshalb eskortieren stets Soldaten die Polizisten zu ihren Außentrainings. Um 7 Uhr morgens verlassen sechs neun Tonnen schwere Schützenfahrzeuge vom Typ „Eagle“ das Feldlager.Vier sandfarbene Bundeswehrwagen mit auf dem Dach montiertem Maschinengewehr sichern die zwei blauen Polizei-Eagle nach vorn und hinten ab.
Für die 45 Kilometer nach Kash benötigt der Konvoi je nach Wetter- und Verkehrslage zwischen zwei und drei Stunden. Heute hat Regen die größtenteils unbefestigten Sand- und Geröllpisten stellenweise aufgeweicht, was die Rückfahrt am Nachmittag erschweren sollte. Der Weg führt über schmale Bergpässe und durch Orte, deren Namen inspirierend auf westliche Werbestrategen gewirkt haben müssen. Ob die Menschen in Sharan etwa wissen, dass die Familienkutsche von VW genau so heißt wie ihr Dorf?
Auch die Spuren deutscher Entwicklungshilfe sind links und rechts der Piste im Tal zu finden: Schulen, Krankenstationen, neue Verwaltungsbauten. „Hier ist Fortschritt zu erkennen. Das Land kommt langsam voran. Aber es wird noch lange dauern, bis hier Frieden ist. Dafür brauchen wir Hilfe“, sagt Dolmetscher Jawid.
Zwischendurch dringt immer wieder ein süßlich-schwerer Duft ins Innere des Eagles. Der Blick fällt auf satt grüne Marihuana-Plantagen, die in der kargen Region, in der nur wenige Nutzpflanzen gedeihen, den Bauern das Überleben sichern. Gegen den Opiumanbau versucht die afghanische Polizei vorzugehen, beim Gras schaut sie weg. „Die Briten und Amerikaner haben den Fehler gemacht, auch die Marihuana-Felder zu vernichten. Aus purer Not sind die Bauern dann zu den Taliban übergelaufen“, erklärt Jawid den Grund für die Toleranz.
Schutzmann mit Kalaschnikow
Das Polizeiquartier, ein Flachbau noch ohne Wasser- und Telefonanschluss, liegt zentral ein paar Kilometer außerhalb von Kash. Eine Konzession an die Clanstruktur des Distrikts. „Wir wollen nicht den Anschein erwecken, hier eine Gruppe zu bevorzugen“, sagt der FDD-Leiter aus Sachsen. Die familiären und ethnischen Besonderheiten sind nicht die einzigen Schwierigkeiten für das Projekt. Knapp 30 Polizisten sind auf der Wache stationiert – zuständig für 30.000 Menschen. Heute ist nicht einmal die Hälfte zum Training erschienen. Das Wetter.
Der Rest trainiert das Anlegen von Handschellen und wie sie Verdächtige durchsuchen. Amr Ullah ist zwar stolz, während der Streife die blaugraue ANP-Uniform und Kalaschnikow zu tragen, hat aber nach 22 Jahren als Mudschahedin und einem Leben voller Krieg seine eigenen Vorstellungen von Sicherheit: „Die Taliban haben unsere Provinz nicht besetzt, weil wir kämpfen können, wie wir es schon gegen die Russen getan haben.“ Dass auch Gefangene und Verdächtige Rechte besitzen, müssen er und seine Kollegen noch lernen. Wie man eine AK-47 bedient, weiß hingegen fast jeder Afghane.
Die Region Badashkan im deutschen Zuständigkeitsbereich ist in 28 Distrikte unterteilt. Nur um drei davon kann sich die Polizei wirklich kümmern. Dort unterhält sie ein FDD-Projekt. Die restlichen Teile der schwer zugänglichen Bergregion sind Terra Incognita. Weder zu kontrollieren noch den deutschen Maßstäben von Recht und Ordnung zu unterwerfen. Ernüchternd für die Beamten. „Einerseits sehen wir, dass unsere Arbeit langsam erste Früchte trägt und wir die Menschen nicht alleine lassen können. Andererseits ist es gar nicht leistbar die gesamte Region abzudecken. Das braucht noch weitere zehn Jahre und mehr Personal. Viel zu teuer und kaum vermittelbar für deutsche Wähler, die den Afghanistan-Einsatz zunehmend ablehnen“, erklärt ein Beamter den Zwiespalt. Allein im vergangenen Jahr hat die Polizeimission in Afghanistan 77 Millionen Euro gekostet. Das FDD-Programm in Kash soll im April eingestellt werden.
430 Millionen Euro aus Deutschland
Auf der Afghanistan-Konferenz am 5. Dezember in Bonn wollen Afghanen und die Internationale Staatengemeinschaft über das weitere Vorgehen beraten. Dabei soll auch zur Sprache kommen, wie das Engagement Deutschlands und der anderen Verbündeten über das Jahr 2014 aussehen soll. Bis dahin fließen nach Angaben des Bundesinnenministeriums jährlich 430 Millionen Euro aus Deutschland in den Wiederaufbau des Landes.
Trotz aller Zweifel, es scheint, die deutsche Polizei hat mit ihrem zurückhaltend freundlichen Auftreten das erreicht, was die unbeliebten Amerikaner vergeblich versuchen: die Herzen und Köpfe der Bevölkerung zu gewinnen. Als auf der Rückfahrt ins Feldlager ein Eagle in einen Graben rutscht und der Konvoi in Darrah im Morast zu versinken droht, stabilisieren Männer aus dem Dorf die schlammige Straße mit Geröll und Schotter. „Dort, wo die Deutschen waren, ist Neues entstanden. Deshalb sind sie eher akzeptiert als die Amerikaner, die zu viel zerstört haben“, erklärt Siddiq Wahidi, Afghanistan-Berater des Bundesinnenministeriums die Hilfsbereitschaft.
Dennoch sind Soldaten und Polizisten nicht völlig entspannt. Sechs regungslose „Eagle“, ungeschützt in einem engen Dorf mit nur einer Straße, die herein und wieder hinaus führt. Ideal für einen Hinterhalt. Mit 20 Kilo schwerer Schutzweste bekleidet und schussbereitem G36 sichern sie die Kolonne, während die Bordschützen im Innern der Fahrzeuge das MG per Kamera und Joystick auf mögliche Angreifer ausrichten. Es sind Situationen wie diese, die den Beamten immer wieder vor Augen führen, dass sie sich in einem Krisengebiet befinden. Ob aus dem Bergort Feyzabad tatsächlich irgendwann ein „Bad Feyza“ wird, liegt nicht in ihrer Hand.