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Wenn Pflegen krank macht – Angehörige schlagen Alarm

Wenn Pflegen krank macht – Angehörige schlagen Alarm

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Foto: dpa
Neuer Report unterstreicht die zunehmende Belastung durch die Betreuung von Pflegefällen in der Familie. Viele sind bis zur Erschöpfung überfordert.

Berlin. 

Zwanzig Seiten lang war der Brief, der neulich die Pflegeberater der DAK-Versicherung erreichte. Zwanzig Seiten, auf denen stand, wie es einem Menschen kurz vor dem Zusammenbruch geht: Vollkommen allein gelassen fühle sie sich, schrieb die Absenderin. Ihre Ehe gehe in die Brüche. Sie schaffe es nicht mehr, Beruf, Familie und Pflege zu stemmen. Und sie verliere die Selbstkontrolle: „Ich war kurz davor, zuzuschlagen.“ Dieser Hilferuf ist kein Einzelfall. Eine neue Studie zeigt, dass pflegende Angehörige stark belastet sind – und deutlich öfter krank sind als Menschen ohne Pflegeverantwortung.

Pflege ist in Deutschland Familiensache: Die große Mehrheit der pflegebedürftigen Menschen wird zu Hause versorgt. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will die Familien stärker dabei unterstützen. Ab 2017 sollen pro Jahr künftig fünf Milliarden Euro zusätzlich in die Pflege fließen – finanziert durch höhere Beiträge zur Pflegeversicherung. Vor der ersten Lesung heute im Bundestag zeigen zwei neue Studien, wie drängend die Probleme sind – und dass sich mit Geld nicht alles regeln lässt.

Hilfsangebote werden kaum genutzt

Jeder zweite Deutsche befürchtet mittlerweile, in den nächsten Jahren ein Familienmitglied pflegen zu müssen oder selbst zum Pflegefall zu werden. Jeder Vierte hat laut einer aktuellen Umfrage des Bundesgesundheitsministeriums bereits Erfahrungen mit Pflege im engeren Familienkreis. In der Hälfte aller Fälle wird ohne die Hilfe von professionellen Diensten betreut.

Viele sind überfordert: 55 Prozent leiden unter Schlafstörungen, Angstzuständen und Erschöpfungssyndrom – 15 Prozent mehr als der Durchschnitt. Jeder Fünfte hat schon mal eine depressive Episode erlebt – acht Prozent mehr als Menschen ohne Pflegeverpflichtung. Pflegende Angehörige werden öfter wegen Muskel-Skelett-Erkrankungen behandelt. Jeder Zweite fühlte sich stark belastet, acht von zehn, die Demenzkranke pflegen, klagen über zeitliche und psychische Überforderung.

Zwar beteiligen sich mittlerweile immer öfter Männer an der Pflege – doch Frauen zwischen 45 und 70 Jahren tragen in Deutschland die Hauptlast bei der Pflege. Die wenigsten sind nebenher berufstätig, meistens in Teilzeitjobs.

Die Wenigsten nutzen Hilfsangebote

Bemerkenswert: Die meisten wissen, welche Hilfsangebote es gibt, nutzen sie aber nicht. Die wenigsten haben bereits einen Kurs gebucht. Die Möglichkeit der Nachtpflege, die übermüdete Angehörige entlasten soll, kannte nur jeder zweite – und genutzt hatte sie nur jeder Zehnte. „Viele denken, dass Pflege ihr Schicksal ist – durch das sie alleine durchmüssen“, beobachtet Pflegeexperte Klie.

Verbundenheit, Pflichtgefühl, aber auch der Wunsch des Pflegebedürftigen spielen bei der Entscheidung für die häusliche Pflege eine wichtige Rolle: In über 60 Prozent der Fälle werden Eltern oder Schwiegereltern betreut, bei vier Prozent Freunde oder Nachbarn.

Professionelle Dienste werden wichtiger

Die Gefühle der Pflegenden sind ambivalent: In der Umfrage sagen immerhin fast 40 Prozent, dass sich die Beziehung durch die Pflegesituation verbessert habe – nur 20 Prozent finden, dass sich das Verhältnis verschlechtert habe. Bei Demenzkranken ist die Lage schwieriger – doch noch immer überwiegt der positive Blick.

Mit Blick auf die kommenden Jahre erwarten Pflegexperten einen grundsätzlichen Wandel in der häuslichen Pflege: Die Arbeitswelt verändert sich, immer mehr Frauen sind berufstätig, sie wollen und können ihren Job nicht für die Pflege aufgeben. Bereits jetzt wohnen die Generationen oft so weit voneinander entfernt, dass tägliches Kümmern schwer wird.

„In Zukunft werden professionelle Dienste einen größeren Stellenwert bekommen“, bilanziert der Report. Die Pflegereform der Großen Koalition sei deswegen „ein wichtiger Schritt“, sagt Experte Klie. Doch umgerechnet auf die aktuell 2,6 Millionen Pflegebedürftigen bringe das Paket nur „homöopathische Leistungssteigerungen“.