Warum sich Politiker via Facebook an Promis ranwanzen
Steinmeier gratuliert Felix Jaehn, Gabriel applaudiert Til Schweiger. Politiker suchen bei Facebook auffällig die Nähe zu Promis. Warum eigentlich?
Essen/Berlin.
Früher, da dachten Männer wie Günter Grass für die SPD. Heute übernimmt das Til Schweiger. Dieser Eindruck entsteht jedenfalls, wenn SPD-Chef Sigmar Gabriel die richtigen, inhaltlich jedoch keineswegs neuen Worte des Schauspielers bei Facebook zum Anlass nimmt, den Umgang mit Flüchtlingen zu thematisieren.
Es ist der bekannteste, aber nicht der einzige Fall, in dem sich Spitzenkräfte der Sozialdemokraten via Social Media an Menschen ranwanzen, deren Popularität die eigene weit in den Schatten stellt. Zuletzt hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier, ebenfalls SPD, dem DJ Felix Jaehn zu dessen Sprung an die Spitze der US-amerikanischen Billboard-Charts gratuliert. SPD-Vize Ralf Stegner nahm in einem Interview Bezug auf Farin Urlaub, der sich klar gegen Fremdenhass positioniert hatte. Das macht der Sänger der „Ärzte“ allerdings seit Jahrzehnten, was Stegner bislang wenig zu kümmern schien.
Til Schweiger hat ein Vielfaches der Facebook-Fans von Sigmar Gabriel
Politikberater Martin Fuchs beobachtet die Annäherung von Politik-Großkopferten an Glamour-Prominente schon länger: „Denken Sie an Guido Westerwelle im Big-Brother-Container oder Gerhard Schröder bei GZSZ: Politiker versuchen, ihre Zielgruppe dort abzuholen, wo sie sich befindet.“ Das sei auch das, was er seinen Klienten rät. „Das ist erfolgversprechender als ein Podcast auf der eigenen Website.“
In der Tat: Mit einem Facebook-Eintrag auf seiner eigenen Seite kann Gabriel rund 47.000 Fans erreichen. Til Schweiger mit seinen 1,3 Millionen Fans spielt da in einer ganz anderen Liga. Und auch die Medienresonanz wäre wohl bedeutend geringer ausgefallen, hätte Sigmar Gabriel fremdenfeindliche Äußerungen und Attacken via Pressemitteilung verdammt und nicht im Facebook-Pingpong mit dem Schauspieler.
LeFloids Merkel-Interview hat mehr Zuschauer als das ARD-Sommerinterview
Auch die Kanzlerin hat das erkannt: Unlängst gab Merkel dem Youtube-Star LeFloid ein Interview. Der 30-Minuten-Clip wurde über dreieinhalb Millionen Mal angeklickt. Das Sommer-Interview, das die Kanzlerin kurz darauf Journalisten der ARD gab, erreichte anderthalb Millionen Zuschauer. Einschaltquote der Unter-50-Jährigen: 4,3 Prozent.
Kommunikationsexperte Fuchs warnt allerdings davor, die Arbeit zu unterschätzen, die durch Social-Media-Kommunikation entsteht. „Um eine Community aufzubauen, muss ich kontinuierlich dranbleiben.“ Einmal posten und dann wochenlang schweigen funktioniere nicht. Entscheidend sei auch der Dialog mit den Nutzern: „Natürlich kann ein Politiker nicht auf jeden Kommentar eingehen, aber die Nutzer erwarten schon, dass er gelegentlich reagiert und sich etwa für Antworten bedankt“, sagt Fuchs.
Fuchs: Sorge vorm „Shitstorm“ ist unbegründet
Doch wirkt das nicht beliebig, wenn Steinmeier, der sonst auf Facebook über diplomatische Missionen berichtet, plötzlich Popstars gratuliert? „Das ist egal“, sagt Fuchs. Wen das nicht interessiert, der nehme das kaum zur Kenntnis. Und für alle anderen wirke es charmant. Selbst die Sorge vor dem berüchtigten „Shitstorm“, die viele Politiker umtreibe, könne er nicht nachvollziehen: „Das heißt doch nur, dass sich die Nutzer mit meinen Inhalten auseinandersetzen. Das Schlimmste für einen Politiker ist doch, wenn er nicht wahrgenommen wird.“
Die Facebook-Nutzer nehmen den Spitzenpolitikern ihre vermeintliche Volksnähe noch nicht ganz ab. „Das ist jetzt also der Dialog mit dem jungen Volk“, kommentiert eine Nutzerin den Steinmeier-Eintrag. „Ich glaube kaum, dass Steinmeier weiß, wer Felix Jaehn ist“, schreibt ein anderer und fügt hinzu „Ich bin mir auch sicher, dass die allermeisten von Felix‘ Fans den Namen Steinmeier zum allerersten Mal in ihrem Leben gehört haben.“