Reizgas, Schreckschuss-Pistolen, Signalwaffen: Der Handel boomt. Die „German Rifle Association“ propagiert Waffen für alle – und Bürgerwehren.
Essen.
Die Browning GPDA 9, eine Schreckschuss- und Gasspistole, ist im Internet in schwarzer Farbe für 129 Euro frei zu bekommen. Voraussetzung ist nur der kleine Waffenschein. Es ist ein Preis, den derzeit nicht wenige Bundesbürger gerne auf die Konten der Waffenhändler überweisen. Kann aber sein, dass Käufer derzeit bis zur Lieferung einige Zeit warten müssen. Denn die Branche boomt. Der Branchenverband VDB hält sogar eine Verdoppelung des Umsatzes 2015 für möglich.
Mehr Schützen, mehr Waffen, mehr Waffenscheine
Mehr Schützen. Mehr Waffen. Mehr Waffenscheine. Im geltenden Koalitionsvertrag von 2013 wollte Schwarz-Rot genau das verhindern. „Die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger hat oberste Priorität“, stand da. Die Koalition zielte auf eine „erneute befristete Amnestie“, um die Abgabe vielleicht lange gebunkerter und nicht gemeldeter Waffen zu erleichtern. Doch gerade tritt das Gegenteil ein. Das Bundesverwaltungsamt bestätigt unserer Redaktion, vorbehaltlich einer Datenbereinigung bis 2017, ansteigende Zahlen:
Erlaubnispflichtige Waffen: Vor drei Jahren, als 300 kommunale Stellen ihre Daten an das Nationale Waffenregister der Behörde übermittelt hatten, waren dort 5,5 Millionen erlaubnispflichtige Waffen im Besitz von Privatpersonen und Vereinen registriert. Heute sind es mit 5,79 Millionen fast 300 000 mehr.
Waffenbesitzer: Auch die Zahl der Waffenbesitzer ist um 140 000 auf 1,54 Millionen gestiegen – eigentlich verwunderlich, wo doch zum Beispiel Schützenvereine massiv mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen haben.
Schwere Waffen: Das auffälligste: Während in einigen Bundesländern die Zahl der schweren Schusswaffen sogar zurückgeht, sind aktuell vor allem kleine Waffenscheine heftig nachgefragt. Sie sind für über 18-Jährige gegen Gebühr und den Nachweis erhältlich, nicht vorbestraft zu sein, und berechtigen zum Führen von Schreckschuss-, Reizgas- und Signalwaffen. Diese können dann ohne besondere Erlaubnis im freien Handel gekauft werden. Ende 2013 gab es laut Bundesregierung 249.923 solcher Waffenscheine. Jetzt meldet das Bundesverwaltungsamt 275.500 davon.
Den Trend sieht auch das Innenministerium in NRW. 2014 sind an Rhein und Ruhr 64.686 kleine Waffenscheine ausgegeben worden – ein Plus von 4,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Wo liegen die Motive für diese Entwicklung? Waffenhändler haben eine Erklärung: Die Angst im Land nimmt zu. Schwieriger wird es, wenn nach der „Angst wovor?“ gefragt wird. Vor der allgemeinen Kriminalität? Vor Einbrechern, weil die Raubzüge vor allem osteuropäischer Banden viele Großstädter zu Recht beunruhigen? Vor Wölfen, die sich in Deutschland zunehmend Lebensräume zurück erobern? Oder passiert das alles seit dem Einsetzen der Flüchtlingskrise, weil der Kaufrausch bei Gaspistolen, Elektroschockern, Reizstoffen oder Schlagstöcken besonders in den letzten drei Monaten auffällt?
Waffenhändler: Die Angst im Land nimmt zu
Klare Antworten fehlen hier – zumal die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) zurückgehende Zahlen bei Mord und Totschlag meldet und auch beim Einsatz von Schusswaffen in Zusammenhang mit Straftaten. Die Innenminister der Länder versichern zudem, die Kriminalität, die von Flüchtlingen ausgeht, sei gering, die gegen Flüchtlinge gerichtete hingegen mache ihnen Sorgen.
Tatsächlich ist Deutschland weit entfernt von amerikanischen Verhältnissen. Die werden jedoch auch hier von einem Teil der Lobby angestrebt. Während sich der etablierte „Bund Deutscher Sportschützen“ mit 2000 Vereinen und 50 000 Köpfen derzeit einfach nur über steigende Mitgliederzahlen („Zehn Prozent jährlich“) freut, tritt im Internet parallel zum Kaufboom verstärkt eine „German Rifles Association“ (GRA) auf.
Die GRA will kein Verein sein, keine Satzung und keinen Vorstand haben. Sie lädt aber „jeden Schützen und jede Schützin“ ein, sich als Mitglied der GRA zu registrieren, um auf ihren Webseiten „ihrem Ärger Luft zu machen“ über die deutschen strengen Waffengesetze. Wörtlich heißt es: „Welche Disziplinen oder Waffen unsere Mitglieder schießen oder nicht schießen, interessiert uns nicht“. Mit der umstrittenen amerikanischen NRA habe sie organisatorisch nichts zu tun, teile aber deren Ziel, „dass wir uns für eine sinnvolle Waffengesetzgebung einsetzen, die sich an Fakten und nicht an Ideologien orientiert“.
Was „Luft machen“ heißt, liefern die Initiatoren, die unter anderem aus NRW und Berlin kommen, in mehreren Beiträgen. Dabei stellen sie indirekt das Gewaltmonopol des Staates in Frage. Zum Beispiel: Es sei in Nordrhein-Westfalen mit seinen gestiegenen Einbruchszahlen „nicht verwunderlich, dass sich an verschiedenen Orten Bürger in Bürgerwehren organisieren und selbst auf Streife gehen, um Einbrecher abzuschrecken“ – um dann gleich zu bedauern, dass es „für den deutschen Bürger ja bereits kritisch ist, ein Pfefferspray zu besitzen“. Dabei fällt auch Pfefferspray nach dem Völkerrecht in die Kategorie „Chemische Waffen“ – und kann, bei nicht fachgerechtem Gebrauch, zu schweren Verletzungen führen.
Mendener führt „German Rifle Association“ an
Neben dem Sauerländer Marc Schieferdecker aus Menden führt ausweislich der Homepage auch die Berliner Waffenhändlerin Katja Triebel die Bewegung an. TV-Zuschauer kennen sie. 2014 fiel sie durch einen bemerkenswerten Auftritt im Talk-Format „Markus Lanz“ auf. „Ich bin Jägerstochter“, bekannte sie da in Anwesenheit einer Überlebenden des Amoklaufs von Winnenden. „Jägerskinder sehen Waffen einfach als Werkzeug. Die Eltern erklärten es „genau so wie Feuer oder eine Bohrmaschine“. Und: Es wäre von Vorteil, wenn jeder Bürger eine Schusswaffe besitze.