US-Verteidigungsminister Leon Panetta droht den US-Marines, die offenbar die Leichen von afghanischen Männern geschändet haben, mit „maximalen“ Strafen. Das YouTube-Video, auf dem Soldaten dabei zu sehen sind, wie sie auf die Leichen urinieren, hat die Welt schockiert.
Washington.
Mark Kimmitts ohnehin schmale Lippen wurden zum Strich. Als der ehemalige Brigade-General gestern gefragt wurde, was das Schock-Video über Entgleisungen amerikanischer Soldaten in Afghanistan in ihm auslöst, kam Kimmitt nur eine Vokabel in den Sinn: „abstoßend“.
Entlang dieser Sprachwahl bewegten sich den ganzen Tag über Verteidigungs- und Außenministerium in Washington, das Hauptquartier der Internationalen Schutztruppe (Isaf) in Afghanistan und die Regierung Karsai in Kabul. Einhellig verurteilten Sprecher das Gezeigte als „monströs”, „inakzeptabel”, „abscheulich”, „unmenschlich” und „schändlich”. US-Verteidigungsminister Leon Panetta ließ eigens erklären, die Schuldigen würden „maximal zur Verantwortung gezogen”.
Keine Fälschung
So sich denn bewahrheitet, was kaum zu glauben ist. Bis zur Stunde weiß noch niemand wirklich verlässlich, wer und was während des 39 Sekunden lang dauernden Video-Films zu sehen ist, der es über Nacht über den Internet-Kanal YouTube zum globalen Gesprächsthema gebracht hat: Mutmaßlich vier US-Elitesoldaten einer Scharfschützen-Einheit in Kampfmontur, zu erkennen an den Waffen und Helmen, stehen über den Leichen von drei am Boden liegenden mutmaßlich afghanischen Männern, einer davon mit blutgetränktem Hemd – und verrichten wie auf Kommando ihre Notdurft. Ein Soldat spricht von “goldener Dusche”. Dazu hört man Sätze wie: „Einen schönen Tag noch, Kumpel” und leises Gelächter.
Wann und wo das verstörende Video entstanden ist, ob die Toten feindliche Kämpfer oder Zivilisten waren, ist ab sofort Gegenstand einer umfänglichen Untersuchung, wie Pentagon-Sprecher John Kirby sagte. Erste Zweifel, es könne sich vielleicht um einen „Fake” – eine Fälschung – handeln, um eine mit digitalen Mitteln gebastelte Illusion, haben sich im Laufe des Tages in Luft aufgelöst. Inoffiziell hieß es am Mittag aus gut informierten Sicherheitskreisen, die im Video gezeigten Marines, von denen zurzeit noch 20.000 am Hindukusch im Einsatz sind, stammten voraussichtlich wirklich aus einer in Camp Lejeune/North Carolina stationierten Einheit, die bis zum vergangenen Herbst im Süden Afghanistans war. Den Männern und dem, der sie gefilmt hat, drohen empfindliche Strafen vor der Militärgerichtsbarkeit.
Vergleichsweise zurückhaltend reagierten die Taliban. Ein Sprecher nannte den Vorgang zwar „barbarisch”, allerdings hätten die amerikanischen Truppen bereits bei weitem grausamere Dinge getan. Er spielte damit unter anderem auf öffentlich gewordene Fotos von zwei US-Soldaten vom März 2011 an, die stolz und lächelnd mit ihrem toten Opfer, einem Jungen, posierten. Sie gehörten wie der Obergefreite Jeremy Morlock zu einem „Kill-Team“, das zwischen Januar und Frühsommer 2010 aus reiner Mordlust etliche afghanische Zivilisten erschossen und danach die Leichen bestialisch geschändet haben soll.
Gefahr für Truppen
Auswirkungen auf die von der Regierung Obama seit Wochen im Stillen vorangetriebenen Gespräche mit Taliban-Vertretern, mit dem Ziel, sie künftig an der Macht in Kabul zu beteiligen, seien durch die jüngsten Vorkommnisse vorläufig nicht zu befürchten, sagte der Sprecher der Aufständischen und kündigte an, dass die Taliban der Gewalt gegen die US-Truppen nicht abschwören würden. Die bekannteste muslimische Bürgerrechtsorganisation in Amerika, Cair, erklärte, das im Video gezeigte Verhalten sei „völlig unziemlich für Mitglieder des amerikanischen Militärs”, es könne künftig Soldaten und Zivilisten in Afghanistan in große Gefahr bringen.