Ivan Ventyk ist ein junger Mann, der plötzlich einen großen Krieg in seinem eigenen Land erlebt. Der 22-Jährige lebt in Lwiw (Lemberg), im Westen der Ukraine.
Im Gespräch mit unserer Redaktion erzählt er, wie es für junge Männer wie ihn ist, plötzlich das eigene Land mit der Waffe verteidigen zu müssen. Außerdem spricht er über seine Gefühle gegenüber den Russen – und er hat eine Botschaft an Deutschland.
Sie leben in Lwiw (Lemberg). Dort stranden viele Flüchtlinge. Sind darunter auch Männer, die noch über die Grenze wollen, obwohl ihnen das verboten ist?
Ivan Ventyk: Ja, Lwiw ist mein Zuhause. Mittlerweile gibt es hier wirklich viele Flüchtlinge, der Bahnhof ist überfüllt. Natürlich haben diejenigen, die aus dem Land fliehen wollen, Angst um ihr Leben. Männer zwischen 18 und 60 werden nicht aus dem Land gelassen. Diejenigen, die es mit Bestechung versuchen, werden der Polizei übergeben. Einige meiner Bekannten haben es geschafft, aus der Ukraine rauszukommen, nun bereuen sie es aber. Erst heute wurde angeordnet, dass alle männlichen Flüchtlinge zwischen 18 und 60 in den regionalen Zentren für Rekrutierung zur militärischen Registrierung erscheinen müssen.
Können Sie sich selbst vorstellen, das Gewehr in die Hand zu nehmen und gegen die russischen Truppen zu kämpfen? Lastet ein gewisser sozialer Druck auf jungen Männer wie Ihnen, in den Krieg zu ziehen?
Meine Freunde und ich waren schon vom ersten Kriegstag an dazu bereit, in den Kampf zu ziehen. Wir wollten sogar freiwillig in den Krieg ziehen. Aber momentan ist die Armee überfordert und sozusagen überfüllt vom ganzen Andrang. Wenn es in einer Region noch relativ ruhig ist, wie hier, nehmen sie zuerst Leute mit mindestens einjähriger militärischer Vorerfahrung. Ich habe keine militärische Grundausbildung.
Und ja, es gibt einen sozialen Druck auf junge Männer, aber derzeit ist die Rekrutierung in meiner Region noch freiwillig. Wir spüren vor allem Mut. Viele Ukrainer kommen sogar aus dem Ausland zurück, um zu kämpfen. Wir hoffen nicht mehr nur, dass wir diesen Krieg gewinnen, wir wissen, dass wir schon gewonnen haben, denn die ganze Welt ist mit uns!
+++ News-Ticker zum Ukraine-Krieg +++
Wie sind Ihre Empfindungen gegenüber den Russen? Kennen Sie Menschen aus Russland persönlich und konnten Sie die über den Krieg aufklären?
Ich bin vor allem wütend auf das russische Volk. Sie haben es ihrer Regierung erlaubt, sie zu Sklaven zu machen. Wir Ukrainer haben es satt, dass Russland die Entwicklung unseres Landes hemmt und versucht, unsere Nation zu zerstören!
Meine Freunde haben Verwandte und Freunde in Russland. Die meisten glauben uns nicht, wenn wir über den Krieg erzählen. Viele unserer Leute führen einen Informationskrieg gegen Russland und versuchen, so viele Videos und Fotos des Krieges in den russischen sozialen Netzwerken zu streuen, sogar in Kommentaren zu beliebten Gebäuden auf Google Maps. Aber die Russen glauben genau das Gegenteil der Wahrheit, eben wie es ihnen im Fernsehen berichtet wird.
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Möchten Sie an unsere Leser in Deutschland noch eine Botschaft schicken oder einen Wunsch äußern?
Ich möchte Ihnen für Ihre Unterstützung danken. Für die materielle und finanzielle Hilfe, die uns sehr dabei unterstützt, dass Russland nicht unsere Verteidigung durchbricht. Aber jetzt müssen wir auch den Luftraum über der Ukraine schließen. [Bislang lehnt die NATO die Einrichtung einer Flugverbotszone in der Ukraine ab, weil es dann zu direkten Kämpfen mit russischen Fliegern kommen könnte, Anmerk. d. Red.]
Ich habe im Sommer 2020 drei Monate in Deutschland gelebt und gearbeitet. Sie haben ein wunderbares Land und gute Menschen, die immer bereit sind, zu helfen. Ich hoffe sehr, dass der Krieg bald endet und unsere Länder noch näher zusammenrücken. Gerne komme ich wieder zu Ihnen! Fast alle meine Bekannten und Freunde aus Deutschland drückten mir ihr Mitgefühl aus und waren sogar bereit, mich und meine Familie aufzunehmen. Das weiß ich zu schätzen.
Das Interview führte Marcel Görmann.