Die Diskussion über Sprach-Lehrbücher, die von türkischen Konsulaten verteilt werden, geht weiter. Die Lehrergewerkschaft GEW weitet ihre Kritik aus. Ein türkischer Elternverband hält die Buchreihe hingegen nicht für nationalistisch.
Essen.
Sprach-Lehrbücher, die von türkischen Konsulaten in Deutschland verteilt werden, haben teils heftige Reaktionen ausgelöst. Die WAZ hatte belegt, dass in den Werken das Türkentum teils verherrlicht und dunkle Kapitel der türkischen Geschichte unterschlagen werden.
Dieses Urteil wird von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) nach Prüfung der Bücher voll unterstützt. Die Lehrergewerkschaft sagt: „Diese Bücherreihe gefährdet den Schulfrieden und die Freiheit des Unterrichts.“ Die Integration von türkischstämmigen Bürgern in die deutsche Gesellschaft werde durchgehend abgelehnt. Die Verfasser wenden sich laut GEW gegen „Geschlechterdemokratie“ und „interkulturelle Öffnung“. Beschworen werde stattdessen ein „heroischer Mythos vom heldenhaften Türkentum“.
Glorifizierung Atatürks
Im Gegensatz dazu hält die Föderation Türkischer Elternvereine in NRW die umstrittenen Bücher nicht für nationalistisch oder geschichtsverfälschend. Die Reihe vermittelt nach Einschätzung des Elternverbandes „einen völkischen Stolz und die Glorifizierung der Person Mustafa Kemal Atatürks“, vergleichbar mit „der Glorifizierung des ersten amerikanischen Präsidenten George Washington“. Dieser werde ebenfalls als „Vater der Nation“ bezeichnet.
Es sei anmaßend, Schülern mit türkischem Migrationshintergrund „die Möglichkeit des Erlernens der Nationalhymne und die Prinzipien der Staatsgründung zu untersagen“. Dies würde man auch englischen, französischen, amerikanischen Schülern nicht vorenthalten können. Dennoch, so die Eltern, sei die Schulbuchreihe aus pädagogischer Sicht für Schüler mit türkischem Migrationshintergrund „nicht geeignet“. Das Sprachniveau der Schüler entspreche nicht den Erwartungen der Schulbücher.
Der Zentralrat der Armenier in Deutschland (ZAD) fordert in einer Reaktion auf unsere Berichterstattung, „diese Schulbücher sofort einzuziehen und zu verbieten“. ZAD-Chef Azat Ordukhanyan: „Integration kann nicht funktionieren, wenn wir unseren Kindern falschen Stolz auf die Geschichte unseres Herkunftslandes einimpfen und sie zugleich gegen Menschen anderer Herkunft oder anderen Glaubens aufhetzen.”
Staatssekretärin schweigt
Die nordrhein-westfälische Staatssekretärin für Integration, Zülfiye Kaykin (SPD), wollte sich zu der Diskussion um die Sprach-Lehrbücher nicht äußern.
Am Rande einer Buchvorstellung („Die Elegie der Gastarbeiterschaft“) im Essener Katakomben-Theater diskutierten die Gäste jüngst auch sehr kontrovers über die in die Kritik geratenen türkischen Schulbücher.
Sinan Kumru (SPD), Ratsherr und Mitglied im Schulausschuss der Stadt Essen, hält die Bücher für den muttersprachlichen Unterricht in Deutschland für ungeeignet. „Es fehlt der objektive, neutrale Blick auf die Geschichte der Türkei.“ Kumru, der in der Türkei zur Schule gegangen ist, meint aber auch, dass die Schulbücher in den 1980er-Jahren „viel schlimmer“ gewesen seien. Er fordert das NRW-Schulministerium auf, das Schulbuchangebot der türkischen Konsulate auf seine Tauglichkeit für den Türkischunterricht in Deutschland genau zu prüfen.
Diese Bücher haben keine Zulassung
Eine Sprecherin des Schulministeriums betonte gegenüber dieser Zeitung, dass es sich bei den Büchern nicht um zugelassene Lehrmaterialien handele. In NRW seien 436 Einzel-Lernmittel für den Türkischunterricht zugelassen. Die in Fachkreisen geäußerte Kritik, dass es zu wenig Angebote gäbe, sei daher ungerechtfertigt. Die in die Diskussion geratenen Bücher werden derzeit vom Ministerium überprüft. Das Ministerium hat vom türkischen Generalkonsulat in Düsseldorf erfahren, dass die Schulbuchreihe nicht flächendeckend verschickt worden sei. „Sie wurde Lehrern auf deren Bitte hin zugeschickt“, heißt es.
Die Lehrergewerkschaft GEW hatte mit ihrer Kritik, die Bücher seien nationalistisch und geschichtsverfälschend, den Stein ins Rollen gebracht. Nach einer tiefergehenden Analyse der Bücher verschärft die GEW ihre Kritik: „Alle Bücher behandeln die Bereiche Sprache, Geografie, Geschichte, Religion und das Leben von Atatürk. Diese Themen werden ausschließlich aus der türkisch-sunnitischen Perspektive formuliert, die von Diyanet, dem staatlichen Amt für religiöse Angelegenheiten, verantwortet wird.“ Angehörige anderer Religionen würden nicht thematisiert oder negativ dargestellt. Die Gewerkschaft kritisiert, dass die Bücher die ethnische und religiöse Heterogenität der Türkei und der türkischstämmigen Schülerschaft an deutschen Schulen nicht berücksichtigt und mit ihren Inhalten „ein friedliches Zusammenleben be- bzw. verhindert.“
„Das ist Propaganda-Material der türkischen Regierung“
Auch Sinan Kumru kritisiert, dass nur der sunnitische Islam gelehrt werde: „Das ist Propagandamaterial der türkischen Regierung und muss überarbeitet werden.“
In NRW lernen im Schuljahr 2012/13 rund 50.000 Schüler an 830 Schulen Türkisch im Rahmen des herkunftssprachlichen Unterrichts. 339 Lehrer erteilen diesen Unterricht.