Im Irak und in Syrien ist der Islamische Staat schon eine gefährlichen Macht geworden. Nun fürchten die Taliban ein Erstarken des IS in Afghanistan.
Kabul.
Seit einiger Zeit haben die Taliban in der ostafghanischen Provinz Nangarhar einen neuen unerbittlichen Feind. Frühere Gefährten, die sich der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) angeschlossen haben, nehmen die Aufständischen ins Visier. Im Bezirk Schersad etwa gerieten Taliban, die selbst die afghanische Armee angreifen wollten, in einen Hinterhalt. Im Bezirk Spinghar wurden die Häuser örtlicher Befehlshaber niedergebrannt und im Bezirk Achin wurden einige Kämpfer enthauptet.
Mehr als drei Dutzend Aufständische seien in den vergangenen zwei Monaten in Nangarhar von der rivalisierenden radikalislamischen Miliz umgebracht worden, berichten Stammesälteste und Regierungsvertreter der Deutschen Presse-Agentur. Erst vergangene Woche wurde Mir Ahmad Gul, eine Art Schattengouverneur der Taliban für die Provinz, in der pakistanischen Stadt Peshawar erschossen. Hinter der Tat steckten IS-Unterstützer, berichtet ein Taliban-Kommandeur. Der Grund sei Guls Rolle als Anführer einer Offensive gegen den IS gewesen.
IS rekrutiert aktiv Kämpfer in Afghanistan
Als im April 35 Menschen bei einem Selbstmordattentat vor einer Bank in der Provinzhauptstadt Dschalalabad getötet wurden, steckte dahinter mutmaßlich eine Splittergruppe, die die Taliban vergangenes Jahr in Richtung IS verlassen hatten. Das Auftauchen der neuen Gruppe sei nur der jüngste Schlag für eine Provinz, die seit Jahren unter Aufständischen, Drogenhandel und Territorialstreitigkeiten leide, sagt Hadschi Nijas, ein Stammesältester im Bezirk Chogjani.
Rund 1000 Familien aus den Bezirken Achin und Spinghar seien bereits durch die Kämpfe zwischen Taliban und Abtrünnigen vertrieben worden, berichtet der Sprecher der Provinzregierung, Ahmad Zia Abdulsai. Ein Ende ist nicht abzusehen. Im Gegenteil, die Zusammenstöße werden immer häufiger.
So wurden vergangenen Monat mehr als zwei Dutzend IS-Kämpfer in der Westprovinz Farah bei Auseinandersetzungen mit Taliban getötet, wie der Stammesälteste aus dem Bezirk Chak-e-Safed, Abdul Chairchwa, berichtet. Ein Vertreter des Innenministeriums geht davon aus, dass es mittlerweile in sieben der 34 afghanischen Provinzen Kämpfer gibt, die sich dem IS angeschlossen haben, wenngleich ihre Zahl nur bei wenigen Hundert liegen dürfte. Doch rekrutiere der IS aktiv weiter in Afghanistan, sagt Innenminister Nur-ul-Hak Ulomi.
Abneigung der Taliban gegen den IS sitzt tief
Vergangenen Dienstag warnten die Taliban den vom IS ausgerufenen Kalifen Abu Bakr al-Bagdadi davor, sich in ihren „Heiligen Krieg“ in Afghanistan einzumischen. „Der Dschihad gegen die Invasionsarmee der Amerikaner und ihrer Diener in Afghanistan muss unter einer Flagge und einer Führung geführt werden“, hieß es in dem Brief des Taliban-Vizechefs Mullah Achtar Mohammad Mansur.
Der Brief hatte nach Meinung von Analysten und Taliban-Sympathisanten das Ziel, das Überlaufen weiterer Aufständischer sowie Kämpfe um Territorien und Geld zu unterbinden. Doch auch wenn sie sich zur Terrormiliz bekennen, „gibt es keinen Beweis, dass lokale IS-Unterstützer direkte Verbindungen zur Führungsriege im Irak und in Syrien haben“, sagt der frühere Taliban-Repräsentant Wahid Mushda.
Wie tief die Abneigung der Taliban gegen ihre neuen Gegner ist, verdeutlicht der Fall des früheren Taliban-Kommandeurs Mullah Abdul Rauf Chadim. Während seiner Haft in Guantanamo war er zum Wahabismus konvertiert, einer von Saudi-Arabien geförderten besonders konservativen Spielart des Islams. 2007 wurde er nach Afghanistan entlassen und die Taliban machten ihn zu einem ihrer Schattengouverneure. Doch Chadim hatte andere Pläne. Im vergangenen Jahr begann er, Mitglieder für seine Wahabisten-Gruppe zu werben. Ein tödlicher US-Drohnenangriff in der Provinz Helmand setzte seinem Vorhaben im Februar jäh ein Ende. Nicht wenige sagen, dass zuvor Stammesälteste mit engen Verbindungen zu Taliban-Kommandeuren den afghanischen Behörden entscheidende Hinweise geliefert hatten. (dpa)