Umarmungen, Tränen, große Hoffnungen: Die syrischen Flüchtlinge erleben ein Wechselbad der Gefühle. Es schmerzt, die Heimat zurückzulassen. Aber Deutschland verspricht ein neues Leben. Die Kinder träumen vom Alltag: „Wir waren fast drei Jahre nicht mehr in der Schule.“
Beirut/Hannover.
Salam al-Husseini verteilt Luftküsse und winkt ihrer Familie noch einmal zu, ehe sie in der libanesischen Hauptstadt Beirut den Bus zum Flughafen besteigt. Die 13-Jährige hat in ihrer vom Bürgerkrieg gezeichneten Heimat Syrien Schlimmes erlebt. Vor eineinhalb Jahren schlug in ihrem Haus in der Unruheprovinz Homs eine Mörsergranate ein, das Mädchen wurde am Kopf schwer verletzt.
„Nun haben wir die Chance, wieder in Frieden zu leben“
Nun hat Salam die Krisenregion verlassen. Zusammen mit ihrem Vater, ihrer Mutter und zwei Schwestern gehört sie zu den ersten 5000 syrischen Flüchtlingen, die Deutschland aus dem Krisengebiet holt. Zudem kamen seit dem Ausbruch des Konflikts in Syrien im März 2011 nach Behördenangaben bereits rund 18 000 Flüchtlinge nach Deutschland, um hier Asyl zu beantragen.
„Salam ist meine größte Sorge“, erzählt ihr Vater Fawas al-Husseini. „Sie ist erst 13, und ich weiß, dass sie nie wieder laufen und ein normales Kind sein wird“, sagt er. „Aber zumindest wird sie in Deutschland vernünftig medizinisch versorgt werden.“
Salams Schwestern Rajan (16) und Omeimma (14) träumen indes von etwas, was für viele andere Kinder Alltag ist: „Wir waren fast drei Jahre nicht mehr in der Schule. Nun haben wir die Chance, wieder in Frieden zu leben“, sagt die Ältere.
38 Kinder und 69 Erwachsene in Beirut abgereist
Von den 107 Flüchtlingen, die am Mittwoch in Beirut abreisten, sind 38 Kinder und 69 Erwachsene, wie Samantha Donkin von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) erläutert. Muslime gehören zu der Gruppe ebenso wie Christen. Im Libanon nahm man sie zwar auf. Doch viel Hilfe für syrische Flüchtlinge gibt es dort nicht. Die libanesische Regierung will auch nicht, dass große Flüchtlingslager für Syrer errichtet werden. Denn sie befürchtet sonst, dass Zehntausende dauerhaft bleiben könnten, so wie die Palästinenser, die 1948 und 1967 in den Libanon gekommen waren.
Rasan Churi gehört der christlichen Minderheit an. „Ich bin glücklich, dass meine Mutter und meine Schwester mit mir in Deutschland in Sicherheit sein werden“, sagt sie, bevor sie das Flugzeug besteigt. Die 25-Jährige mit Down Syndrom stammt aus Dscharamana, einem von Christen und Drusen bewohnten Vorort von Damaskus, in dem bereits mehrere Autobomben hochgegangen sind.
Auch Omar Hawisch ist froh, dass er und seine siebenköpfige Familie für die Reise nach Deutschland ausgewählt wurden. Ihr Haus steht in der zwischen Regierungstruppen und Rebellen hart umkämpften Provinz Aleppo. „Wir unterstützen in diesem Konflikt keine der beiden Seiten“, betont er. „Wir sind friedliche Syrer, die dafür arbeiten, ihre Kinder auf die Schule zu schicken und ihnen ein anständiges Leben zu ermöglichen.“
Daher gehe es ihm vor allem um eines: „Meine Familie irgendwo hinzubringen, wo sie in Frieden leben kann, weit weg von diesem scheußlichen Krieg, der die Syrer gespalten hat.“
Ahmad Chawam hofft, dass Deutschland als vorübergehendes Zuhause für ihn und seine zwei Kinder ein neues Leben bedeuten wird – vor allem für seinen schwerhörigen, traumatisierten Sohn. Er ist erst sieben Jahre alt, hat aber daheim in Aleppo schon die Schrecken eines Krieges erlebt. „Ich habe ihm immer das Hörgerät abgenommen, damit er den Granatbeschuss nicht mitbekam und noch ängstlicher wurde“, erzählt Chawam mit Tränen in den Augen.
Seine Gefühle, ergänzt er vor seiner Abreise nach Hannover, seien gemischt: „Ich freue mich auf eine bessere Zukunft für meinen Sohn und meine Tochter. Aber es schmerzt mich auch, an die Menschen zu denken, die zurückbleiben.“ Vor allem, da niemand voraussagen kann, wann Syrien wieder ein sicheres Land sein wird. (dpa)