Die Traditionspartei ist zerrissen und mit internen Konflikten beschäftigt. Die Wähler wenden sich ab, dabei braucht die SPD ein starkes Wahlergebnis im Revier.
Düsseldorf/Essen.
Ein Blick auf die Homepage der Ruhr-SPD irritiert jeden Betrachter. „Umbau Ruhr 2014“ steht auf der Startseite (Stand Freitag, 22. Juli, 19 Uhr), darunter erstreckt sich eine lieblos gestaltete Buchstabenwüste aus abschreckenden Begriffen wie „Wertschöpfungsstrukturen“ und „Infrastrukturanlagen“. In der Rubrik „Unsere Köpfe im Landtag“ taucht Thomas Eiskirch auf. Aber der hat das Landesparlament längst verlassen, ist schon seit Oktober Oberbürgermeister von Bochum.
Vernachlässigt und aus der Zeit gefallen, so präsentiert sich die Ruhr-SPD im Internet. Und es gibt böse Zungen, die behaupten, dass sich darin auch der Zustand der Partei spiegelt. Der Fall Petra Hinz hat die SPD erschüttert. Dass eine Bundestagsabgeordnete ein Jahrzehnt lang mit „frisierter“ Vita in der SPD Karriere machen konnte, wirkt wie ein Erdbeben für eine Partei, die ohnehin nicht mehr richtig sicher auf den Füßen steht.
In Essen kam es zuletzt für die SPD knüppeldick: Da versuchte die SPD-Landtagsabgeordnete Britta Altenkamp, die erneute Kandidatur des SPD-Oberbürgermeisters Reinhard Paß zu verhindern. Da rebellierte das SPD-Ratsmitglied Guido Reil gegen die Flüchtlingspolitik und die Verteilung von Asylbewerbern in Essen und lief zur AfD über. Da gerät der SPD-Ratsherr Arndt Gabriel unter Verdacht, mit der Unterbringung von Flüchtlingen Geld zu verdienen. Und dann der Fall Hinz, der sich in ganz Deutschland herumspricht.
Serie aus Streit und Skandalen
Diese Serie aus Streit und Skandalen treibt den neuen Essener SPD-Parteichef Thomas Kutschaty fast zur Verzweiflung. Von einem „schweren Schaden für den Ruf und die Glaubwürdigkeit der Partei“ sprach der NRW-Justizminister am Freitag. Hinz’ Amtsverzicht sei ein erster Schritt raus aus der Glaubwürdigkeitskrise, hofft Kutschaty.
In der Zentrale der NRW-SPD in Düsseldorf will man am liebsten gar nichts zum Fall der früheren Bundestagsabgeordneten aus dem Revier sagen. „Das ist Angelegenheit der SPD in Essen“, erklärt ein Sprecher. Es klingt die Hoffnung durch, das Beben möge sich auf das Kern-Ruhrgebiet beschränken.
Aber Thomas Kutschaty, der lange gezögert hatte, bevor er das Amt des Parteichefs in Essen antrat, ahnt, dass sich die Sozialdemokratie wohl neu aufstellen muss. „Wir müssen die soziale Gerechtigkeit wiederentdecken“, sagt er. Es gebe viele Menschen, die die Hilfe der SPD bräuchten: „Paketzusteller, Reinigungskräfte, Leih- und Zeitarbeiter, Männer und Frauen, die 40 Stunden arbeiten, aber nicht am Wohlstand teilhaben.“ Diese Menschen, sagen viele Sozialdemokraten, habe man vernachlässigt. Zudem müsse die SPD künftig „mit allen demokratischen Parteien sprechen, um Mehrheiten zu bilden“, so Kutschaty. Die Rolle als Juniorpartner in der Berliner Koalition bekomme der SPD nicht gut.
„Die Lage ist geradezu tragisch“
Bärbel Bas, Bundestagsabgeordnete aus Duisburg und stellvertretende Chefin der Ruhr-SPD, teilt Kutschatys Meinung, die SPD müsse sich mehr um „Gerechtigkeitsthemen“ kümmern. Dass aber die Partei im ganzen Revier am Boden liege, kann Bas nicht erkennen: „Die Situation ist schwierig in Essen, aber das betrifft nicht die Ruhr-SPD. In der Region sind wir geschlossen. Wir sehen nach vorne.“ Ein Beleg dafür sei die Konferenz am 1. Juli, bei der sich die NRW-SPD mit dem Ruhrgebiet befasste – zum ersten Mal in dieser Form.
Ihren Optimismus teilt der Essener Arbeits- und Wirtschaftssoziologe Gerhard Bosch nicht. Die SPD habe massive Probleme, den Kontakt zur Arbeiterschaft herzustellen, seit sie in den Betrieben nicht mehr so stark vertreten sei wie früher. Die Partei sei heute eher unter Verwaltungsbeamten verankert. Gegen die soziale Spaltung des Reviers habe die SPD in der Vergangenheit zu wenig getan: „Die Region fällt auseinander, ganze Stadtteile sind abgehängt“, sagt Bosch. „Und die Finanzlage der Kommunen ist geradezu tragisch.“
Er sieht die Ruhr-SPD in einer „tiefen Krise“. Bosch: „Die Wunden, die die Hartz-Gesetze geschlagen haben, sind noch nicht verheilt.“ Daher sei ein Teil der Arbeiterschaft, zuvor die klassische SPD-Kernwählerschaft, zur AfD übergelaufen, obwohl diese ein klar neoliberales und unsoziales Programm verfolge. Überdeckt werde dieser Widerspruch durch die Klammer Fremdenhass.
Nichtwähler, Arbeitslose, Arbeiter, enttäuschte SPD-Anhänger – bei ihnen konnte die AfD bei den jüngsten Landtagswahlen besonders punkten. Und vor allem im Ruhrgebiet gibt es viele davon.