Kurz vor der Einführung des flächendeckenden Sozialtickets im Ruhrgebiet tobt ein Streit zwischen mehreren Städten und dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR). Einige Kommunen wollen nicht für den VRR prüfen, wer den Fahrschein bekommen darf. In Dortmund müssen Neukunden bis Februar darauf warten.
Essen.
Kurz vor der Einführung des flächendeckenden Sozialtickets im Ruhrgebiet tobt ein Streit zwischen mehreren Städten und dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR). Der Konflikt verzögert mancherorts die Ausgabe des neuen Fahrscheins oder verhindert sogar seine Einführung. In Dortmund werden Neukunden mindestens bis Februar auf das Sozialticket warten müssen. Grund sind „Kommunikationsprobleme“ zwischen der Stadt und dem VRR. Beide Seiten haben offenbar nicht miteinander geklärt, wie das Ticket an Sozialhilfeempfänger ausgegeben werden kann.
Velbert fürchtet hohe Zusatzkosten, weil es, wie andere Kommunen auch, die Berechtigungsausweise für das Sozialticket ausstellen soll. „Ohne finanziellen Ausgleich können wir das nicht leisten“, heißt es im Velberter Rathaus. Konsequenz: In Velbert dürfte es zum 1. Januar kein Sozialticket geben. Auch Heiligenhaus und Wuppertal teilen diese Befürchtungen, führen das Ticket aber pünktlich zum Jahresbeginn ein. Der VRR erinnert daran, dass sich jene Städte, die jetzt über Probleme klagen, nicht an dem großen Pilotprojekt zum Sozialticket beteiligt hatten. Der Fahrschein mit dem Namen „Mein Ticket“ soll 29,90 Euro kosten und wird vom Land NRW subventioniert.
Warum eine so komplizierte Prüfung?
Das Sozialticket kommt. Ab 1. Januar will der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) das „Mein Ticket“ genannte Angebot flächendeckend einführen. Doch nicht alle Städte sind glücklich mit dem neuen Fahrschein. Einige, darunter Velbert, sind sogar regelrecht sauer auf den VRR. Sie glauben, der Verkehrsverbund wolle ihnen viel zusätzliche Arbeit aufs Auge drücken, ohne dass es dafür eine Gegenfinanzierung gibt.
Jörg Saborni, Sozialamts-Leiter in Heiligenhaus, hat Post vom VRR bekommen. Aber er freut sich nicht darüber. Denn seine Behörde soll die 300 speziellen Berechtigungsausweise, die in dem Umschlag steckten, einzeln ausfüllen: Name, Geschlecht, Gültigkeitszeitraum und andere Angaben. Die Stadt soll gegenüber dem VRR belegen, welche Bürger das neue Ticket nutzen dürfen. „Warum so kompliziert?“, fragt Saborni. „Warum können die Bürger nicht einfach mit einer normalen Bescheinigung, die sie als Sozialhilfeempfänger ausweist, in die Kartenverkaufsstelle gehen und dieses Ticket kaufen?“
Velbert führt das Sozialticket nicht ein
Dieses einfache Verfahren scheitere daran, dass der VRR „fälschungssichere“ Belege einfordere. Nun wird darüber verhandelt, ob vielleicht ein städtischer Stempel ausreiche. „Zähneknirschend“ führt Heiligenhaus das Ticket ein, wie Saborni sagt. Aber das letzte Wort sei noch nicht gesprochen.
Velbert hat hingegen dem VRR schon eine Absage erteilt. Die Verwaltung sieht sich außerstande, die Berechtigungsausweise für die Fahrscheine auszustellen. „Velbert ist Stärkungspakt-Kommune. Wir sollen Personal abbauen und gleichzeitig Mehrarbeit für das Sozialticket leisten. Das geht nicht“, sagte Sozialamts-Leiter Norbert Maurer dieser Zeitung. Im finanziell angeschlagenen Wuppertal ist der Verwaltungs-Mehraufwand für das Sozialticket ebenfalls ein Ärgernis. Dennoch klinkt man sich dort nicht aus dem Projekt aus.
Zwischen Dortmund und dem VRR herrscht regelrecht Funkstille beim Sozialticket. „Der VRR hat uns nicht genau darüber informiert, wie das Ticket an Neukunden ausgegeben werden soll. Daher gibt es derzeit in Dortmund keine Anträge dafür. Interessierte können das neue VRR-Sozialticket erst ab Februar erwerben“, sagte Stadt-Sprecherin Anke Widow. Die 6200 Nutzer des bisherigen Dortmunder Sozialtickets sind übrigens nicht betroffen. Sie bekommen noch im Dezember „automatisch“ den neuen, etwas billigeren und nun rund um die Uhr gültigen Fahrschein. Dennoch: Insider schütteln die Köpfe ob der Sprachlosigkeit zwischen Stadtverwaltung und Verkehrsverbund. „Jeder meint, der jeweils andere hat geschlafen“, heißt es hinter vorgehaltener Hand.
In Bochum und Essen funktioniert es
Der VRR beteuert, dass die Einführung von „Mein Ticket“ in den meisten Städten problemlos ablaufe. In Bochum, Essen und andernorts prüften die Ämter ganz selbstverständlich die Berechtigung der Kunden. Wenige Städte hätten sich vor einem Jahr nicht am großen Pilotprojekt zum Sozialticket beteiligt – darunter Dortmund, Velbert, Wuppertal und Krefeld. Vielleicht, mutmaßen einige im VRR, ist auch das ein Grund für die dortigen Startschwierigkeiten.
„Im VRR-Gebiet könnten 830.000 Bürger das Sozialticket erwerben. Etwa sieben Prozent dürften dies auch tun“, rechnet VRR-Sprecherin Sabine Tkatzik.
Sozialverband sagt: „Dieses Ticket ist gar nicht sozial“
Aber wie sozial kann ein Ticket sein, das 29,90 Euro kostet? Der Sozialverband Deutschland (SoVD) hat dazu eine klare Meinung. „Dieses Sozialticket ist viel zu teuer. Denn im Hartz IV-Satz sind für Mobilität nur knapp 20 Euro vorgesehen – daran sollte sich der Preis orientieren“, sagte die SoVD-Landesvorsitzende Gerda Bertram dieser Zeitung. „Problematisch ist auch, dass es zumeist nur verbilligte Monatstickets und keine vergünstigten Einzel- undVielfahrerkarten (Vierertickets) gibt. Denn nicht jeder braucht ein Monatsticket. So ist denkbar, dass nur ab und zu ein Ticket gebraucht wird, um den Facharzt in der Nachbarstadt aufzusuchen“, meint Bertram. Andere Sozial- und Wohlfahrtsverbände beurteilen die Situation ähnlich.