Lars Klingbeil hat gerade nicht den leichtesten Job.
In den aktuellen Umfragen schmiert die SPD kurz vor der Europawahl ziemlich ab – Wahlkampf wird da zur harten Überzeugungsarbeit. Und dann regnet es auch noch beim Auftritt in Recklinghausen.
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil: „AKK hat Türen für Rechtsruck geöffnet“
Der SPD-Generalsekretär gibt sich dennoch zuversichtlich. Im Interview mit DER WESTEN spricht Lars Klingbeil über Putschversuche in der SPD, Sozialismusthesen – und erklärt, warum er findet, dass Österreichs Kanzler Sebastian Kurz auf deutschen Wahlkampfbühnen nichts mehr zu suchen hat.
DER WESTEN: Laut einer Umfrage sehen viele Wähler keinen relevanten Unterschied zwischen SPD und CDU. Was ist die Idee der SPD für die Gesellschaft?
Lars Klingbeil: Für mich steht die SPD für Zusammenhalt und das Miteinander in der Gesellschaft. Es gibt im Moment Parteien wie die AfD, die einen Spaltpilz in die Gesellschaft treiben. Die SPD möchte das Gegenteil. Das machen wir ja auch in der Regierung, wenn wir über Fragen wie Rentenstabilisierung oder mehr Geld für Kitas reden. Das hat alles was mit Zusammenhalt zu tun. Das ist vielleicht ein bisschen langweilig, weil es nicht so krawallig und laut ist. Aber ich halte das für das Richtige.
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Juso-Chef Kevin Kühnert hat mit seinen Sozialismusthesen zuletzt eine Debatte über soziale Themen angestoßen. Die SPD nicht. Ist Ihre Partei zu mutlos?
Nein. Ich habe als Generalsekretär die programmatische Erneuerung eingefordert und mit angestoßen. Und wir sind gerade dabei, die großen Fragen unserer Zukunft zu diskutieren und zu entscheiden. Anfang des Jahres haben wir das große Fass aufgemacht und gefragt: Wie muss der Sozialstaat aussehen? Ich will, dass wir wieder über die sozialen Fragen in unserer Gesellschaft sprechen. Kevin Kühnert hat mit seinen Thesen einen Nerv getroffen. Auch wenn ich nicht alles teile, aber wenn es um die extremen Mietpreise in Großstädten geht und die sozialen Verwerfungen, die daraus erwachsen, dann ist es richtig, das zu diskutieren.
Wie kann man diese Verwerfungen verhindern?
Indem man einen Mietenstopp in den Ballungszentren einführt. Und wir wollen den sozialen Wohnungsbau massiv fördern.
Kühnert hat im Interview mit DER WESTEN gesagt, es sei nicht ausgeschlossen, dass er sich für ein Amt in der Parteispitze bewirbt. Ist er der richtige Mann?
Ich bin nicht sein Berater. Es hilft ihm auch sicher nicht, wenn der Generalsekretär ihm da Ratschläge gibt. Dank Kevin Kühnert haben wir jedenfalls in den letzten Jahren wieder viele junge Menschen in die Partei bekommen, das ist gut für die SPD. Ich teile nicht alles, was Kevin Kühnert sagt, aber er ist eines der großen Talente in dieser Partei und ich finde es gut, wenn er sich einmischt.
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Die SPD plagen sehr schlechte Umfragewerte. Partei-Chefin Andrea Nahles hat deswegen viel Kritik abbekommen. Angeblich gibt es sogar Putsch-Pläne innerhalb der SPD. Haben Sie dafür Verständnis?
Nein. Null. Andrea Nahles hat gerade bei der Frage, wie wollen wir den Sozialstaat der Zukunft gestalten, die Partei geeint, das haben andere Vorsitzende vor ihr nicht geschafft. Sie unterstützt den Weg, die SPD zu modernisieren. Und deshalb rate ich jedem in der Partei, Spekulationen zu unterlassen und sich auf den Wahlkampf zu konzentrieren.
Ist Andrea Nahles die richtige für die nächste Kanzlerkandidatur der SPD?
Das entscheiden wir gemeinsam zum richtigen Zeitpunkt. Für mich ist klar, dass wenn diese Frage ansteht, es nicht mehr so gehen kann wie beim letzten Mal. Da haben sich Martin Schulz und Sigmar Gabriel hingesetzt und das untereinander ausgemacht. Das geht nicht mehr. Ich will keine Hinterzimmer-Entscheidungen mehr, sondern die Partei künftig mehr beteiligen.
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Wäre sie denn Ihre Favoritin?
Wie gesagt: Andrea Nahles ist eine gute Parteivorsitzende, andere Fragen stellen sich gerade nicht. Zum richtigen Zeitpunkt werde ich einen Vorschlag machen, wie das Verfahren aussehen kann. Wir haben viele gute Leute.
Sie haben eine Modernisierung der SPD angesprochen: Wie sieht die aus?
Im ersten Schritt bauen wir unsere Parteizentrale, das Willy-Brandt-Haus, um, damit wir dort flexibler agieren können. Dann wollen wir eine permanente Kampagnenfähigkeit erreichen. Eine politische Partei muss heute in der Lage sein, permanent Kampagnen zu fahren und nicht nur vor Wahlen. Und wir wollen die Mitglieder sehr viel stärker einbinden. Es muss sich was verändern, dafür muss man offen sein.
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Ende des Jahres will die Groko Bilanz ziehen: Wird es die Groko danach noch geben?
Davon gehe ich aus. Bis auf das letzte Jahr, als Herr Seehofer schon sehr genervt hat, funktioniert es aus unserer Sicht gut. Die SPD konnte viele ihrer Forderungen durchsetzen, auf die ich stolz bin. Wir haben gerade eine Verbesserung für Paketzusteller erreicht oder einen soliden Finanzierungsplan für die Grundrente vorgelegt. Es kommt jetzt drauf an, wie die CDU sich aufstellt. Ich merke schon, dass Annegret Kramp-Karrenbauer immer wieder gegen die Kanzlerin stichelt, beim Koalitionspartner gibt es gerade intern mehr Querelen.
Annegret Kramp-Karrenbauer lotst die CDU wieder ein ganzes Stück nach rechts. Ist die CDU überhaupt noch als Koalitionspartner für die SPD geeignet?
Ich beobachte natürlich, wie die Union sich nach rechts bewegt. Annegret Kramp-Karrenbauer macht irgendwelche Witze über Minderheiten, die ich ziemlich diskriminierend finde. Sie hat da die Türen für viele in der Union aufgestoßen, die einen Rechtsruck wollen. Wenn die Union jetzt Themen wie massive Aufrüstung oder den Sozialabbau anbringt, kann ich nur sagen: Solche Ideen sind mit der SPD nicht zu machen.
Guido Reil von der AfD wird sehr wahrscheinlich in das EU-Parlament einziehen. Kann man dort überhaupt Politik machen mit Menschen, die eigentlich das Modell EU ablehnen?
Nein, kann man nicht. Ich habe ihn neulich bei Markus Lanz gesehen und mich gefragt, was eigentlich das Programm von jemandem ist, der mit Unwahrheiten, mit Lügen arbeitet. Und der auch nicht offen sagt, wie er eigentlich finanziert wird. So jemand stellt sich als Saubermann dar und verheimlicht, welche Interessen er später im EU-Parlament eigentlich vertreten wird. Ich hoffe, dass die Wähler das mitbekommen. Solche Leute gehören nicht ins Europaparlament.
Im EU-Parlament zeichnet sich ein gewisser Rechtsruck ab. Woran liegt das?
Die Menschen sind allgemein unzufrieden mit der Politik der letzten Jahre. Die Antwort darf aber auf keinen Fall sein, dass man Populist oder Hetzer wird. Jeder hat ja gerade in diesem Strache-Video gesehen, wie Rechtspopulisten wirklich sind. Sie tun so, als seien sie die Vertreter der normalen Leute. In Wirklichkeit verkaufen sie ihre Politik und sind bereit, sich in die Fänge von russischen Oligarchen zu begeben.
Welche Lehre kann man aus dem Strache-Video ziehen? Ist der Umgang mit rechten Kräften zu lasch?
Ja, aber die SPD ist da klar. Andere nicht. Sebastian Kurz hat vor zwei Jahren Strache ins Amt geholt und wurde von CDU und CSU dafür gefeiert. Die Union hat ihn als Hoffnungsträger tituliert. Kurz war beim Wahlkampfauftakt der konservativen EVP mit Spitzenkandidat Manfred Weber dabei. Die Konservativen haben die Distanz zu den Rechtspopulisten verloren. Sebastian Kurz stellt sich jetzt als Opfer hin. Er ist aber derjenige, der Strache, Kickl und die anderen rechten Kumpanen überhaupt erst in die Regierung geholt hat. Jemand wie Kurz hat deshalb im Europawahlkampf auf den Bühnen hier im Land nichts mehr zu suchen.
Wie sieht eine perfekte EU für Sie aus?
Wichtig ist eine noch stärkere Zusammenarbeit. Und neben wirtschaftlichen Erfolgen muss es jetzt um Soziales gehen. Wir brauchen einen europäischen Mindestlohn, Steuergerechtigkeit und einen gemeinsamen Klimaschutz. Darum muss sich die EU jetzt kümmern.