SPD-Chef Sigmar Gabriel hat vor dem Parteitag in Leipzig nach Gründen für die Wahlniederlage seiner Partei gesucht. Es sind: Die populäre Angela Merkel, die unpopuläre Agenda 2010 – und wie den meisten ist ihm auch eine umstrittene Geste seines Kanzlerkandidaten noch in Erinnerung.
Leipzig.
Die „enorme Popularität“ von Angela Merkel, „zu wenig ökonomische Kompetenz“, die negativen Auswirkungen der Agenda 2010, die personelle Instabilität: Das sind für SPD-Chef Sigmar Gabriel die wesentlichen Gründe mitverantwortlich für das schlechte Wahlergebnis seiner Partei bei der jüngsten Bundestagswahl. Das sagte Gabriel in einem Interview mit der „Leipziger Volkszeitung“ vor dem SPD-Bundesparteitag, der am Donnerstag in Leipzig beginnt.
Was er bei seiner Kritik nicht ausspart: die in der Endphase des Wahlkampfs ausgebrochene „Debatte um den Stinkefinger“ von Kanzlerkandidat Peer Steinbrück auf einem Magazin-Titelbild.
Der SPD wurde zu wenig Wirtschaftskompetenz zugesprochen
„Wir brauchen nicht in Sack und Asche zu gehen. Aber wir müssen uns natürlich die Frage stellen, warum ist es nicht mehr geworden“, meinte Gabriel. „Da gibt es die enorme Popularität von Frau Merkel. Außerdem wurde der SPD zwar eine erhebliche soziale Kompetenz zugesprochen, aber zu wenig ökonomische Kompetenz.“
Ein nicht unerheblicher Teil der SPD-Wählerschaft habe zudem gesagt, die Agenda 2010, die wirtschaftspolitischen und sozialen Reformen von Gerhard Schröder, hätten zwar maßgeblich zur aktuell guten wirtschaftlichen Lage beigetragen. „Aber genau so viele meinen, dass die SPD mit der Agenda-Politik gegen ihre Prinzipien verstoßen habe. Auch dieser Zwiespalt hat uns im Wahlkampf zu schaffen gemacht.“
Viele lachten über den Stinkefinger, viele fanden ihn unangemessen
Mit dem TV-Duell Steinbrück/Merkel „haben wir schon gespürt, da könnte noch was gehen“, meinte Gabriel. Beim Duell sei „zum ersten Mal im Wahlkampf so richtig intensiv über Politik geredet“ worden. „Peer Steinbrück hat das großartig gemacht – er und auch die SPD wurden deutlich populärer. Bis dann plötzlich die Debatte um den Stinkefinger kam.“
Über die Geste hätten mindestens so viele gelacht, wie sie sie für unangemessen fanden. Das Problem sei aber gewesen, „dass damit die politische Diskussion wieder unterbrochen wurde. Auf einmal wurde nicht mehr über Löhne, über soziale Sicherheit, über Steuergerechtigkeit, über Europa geredet. Es wurden wieder nur Haltungsnoten verteilt“, sagte Gabriel.
Gabriel sieht weiter großes Wählerpotenzial
Es sei leider so, dass ein paar Millionen Menschen mit SPD-Neigung bei der Wahl „im Wartestand und damit zu Hause geblieben“ seien. „Die wieder zu gewinnen, ist die große Chance der SPD. Diese Enttäuschten wollen ein klares Bekenntnis zur sozialen Gerechtigkeit, aber auch mehr. Und dieses Mehr haben wir bei dieser Wahl kaum angeboten.“
Zugleich verwies der SPD-Vorsitzende darauf, dass es der jetzigen Parteiführung gelungen sei, die SPD zu einen und ein bisschen mit sich und ihrer Politik in ihrer Regierungszeit zu versöhnen. „Wir konnten eine ganze Reihe von Korrekturen der eigenen Politik vornehmen – ohne irgendwelche Machtspielchen.“