In zwei katholischen Heimen in Rüdesheim im Rheingau sind vor Jahrzehnten laut einer Studie 55 Kinder und Jugendliche Opfer sexueller Übergriffe geworden. Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum hatten die Heimerziehung in dem Kinderheim und im nahen Jugendheim Marienhausen untersucht.
Rüdesheim/Bochum.
Die Missbrauchsvorwürfe gegen Kinderheime im Rheingau bestehen schon eine ganze Weile, nun hat eine Studie von Wissenschaftlern der Ruhr-Universität Bochum den ganzen möglichen Umfang der Leiden ans Licht gebracht. Demnach sind 55 Kinder und Jugendliche in den Jahren 1945 bis 1970 Opfer sexueller Übergriffe geworden. Die Betroffenen berichteten von sexueller Gewalt bis hin zur Vergewaltigung, teilte das St. Vincenzstift am Sonntag mit.
„Die Ergebnisse, die die Studie zusammengetragen hat, übersteigen alles, was ich mir jemals vorgestellt habe“, erklärte Vincenzstift-Geschäftsführer Caspar Söling und entschuldigte sich bei den Opfern. „Strenge, demütigende Strafen, körperliche Züchtigungen, sexualisierte Gewalt und Missbrauch waren Teil des Alltags.“ Verantwortlich soll laut Studie überwiegend der damalige Direktor gewesen sein, zu den Peinigern zählten nach den Berichten der Opfer aber auch Mitarbeiter, Schwestern und ein Arzt.
Bereits im Oktober 2009 seien bei einem runden Tisch im Landtag in Wiesbaden schwere Vorwürfe gegen die Einrichtung und den Ex-Direktor erhoben worden. Kurz darauf begannen die Arbeiten an der Studie.
Erziehung war von Reinlichkeit und Gehorsam geprägt
Im St. Vincenzstift hätten sich inzwischen mehr als 40 ehemalige Heimkinder gemeldet, teilte Söling mit. 15 hätten von sexueller Gewalt in der Zeit von 1958 bis 1970 berichtet. Eine gleiche Zahl von Opfern, die nach wie vor im Vincenzstift leben, habe ebenfalls von sexuellen Übergriffen und Gewalt in dieser Zeit berichtet. Von der Jugendhilfe Marienhausen meldeten sich 51 Ehemalige bei den damaligen Trägern, den Salesianern Don Boscos. 25 berichteten laut Söling von Missbrauch und sexueller Gewalt.
Die Erziehung der Dernbacher Schwestern im St. Vincenzstift sei von Ordnung, Reinlichkeit und Gehorsam geprägt gewesen, erklärte der Verfasser der Studie, Bernhard Frings. Auf den Alltag habe sich dies durch große Strenge, zum Teil demütigende Strafen und körperliche Züchtigungen ausgewirkt. Es habe jedoch auch gute Betreuungsarbeit gegeben. „Die Studie zeigt uns, dass nicht alle Täter waren“, erklärte Söling. Die Taten seien jedoch auch möglich geworden, „weil Schwestern und Mitarbeiter in falscher Ehrfurcht schwiegen oder wegsahen statt aufzubegehren“.
Kommission soll Vorwürfe aufklären
Die Provinzoberin der Dernbacher Schwestern, Simone Weber, erklärte: „Es tut mir sehr leid, und ich bedauere das, was geschehen ist, von ganzem Herzen.“ Zu lange habe den Opfern niemand Gehör geschenkt. „Die von den Ehemaligen des Jugendheims Marienhausen angezeigten Vorfälle und Vergehen sind damals wie heute mit nichts zu rechtfertigen“, teilte der Vertreter der Ordensgemeinschaft der Salesianer Don Boscos, Provinzialvikar Pater Reinhard Gesing, mit.
Um die Vorwürfe zu klären, habe die Deutsche Provinz der Salesianer Don Boscos eine Kommission von internen und externen Mitgliedern und Experten gebildet. (dpa)