Am 14. Mai wird es ernst in der Türkei. Dann wählt der 84 Millionen-Einwohner-Staat am Bosporus ein neues Parlament und wie nahezu alle Wahlumfragen zeigen wohl auch einen neuen Präsidenten. Für Langzeit-Präsident Recep Tayyip Erdoğan sieht es düster aus. Hat er die Wahl schon verloren?
Wenn es nach dem Essener Politikwissenschaftler Prof. Burak Çopur geht, dann „könnte das tatsächlich der Fall sein“. Es gehe faktisch „nicht mehr darum, ob Erdogan die Wahl verliere, sondern was er gegen diese Wahlniederlage machen wird“, so Çopur in einem Interview mit „hr-iNFO“. Und weiter: „Die Wahl ist faktisch gelaufen für Erdogan“.
„Erdogan steht mit dem Rücken zur Wand“
„Erdogan steht mit dem Rücken zur Wand“. Er habe das verheerende Krisenmanagement zu verantworten. Es sei ein „totales Staatsversagen mit Blick auf die Opfer des Erbebens“. „Über 50.000 Menschen sind gestorben und es gab keinen Verantwortlichen, der bisher zurückgetreten ist oder Verantwortung getragen hat“, klagt Çopur an. Er prognostiziert, dass sich das schlechte Krisenmanagement auch bei den Wahlen niederschlagen werde: „Ich gehe stark davon aus, dass die Wähler der Türkei Erdogan einen Denkzettel verpassen werden“.
Es komme nun darauf an, wie sich die Opposition aufstelle, „um die Wahlsicherheit in der Türkei aufrechtzuerhalten. Hier wird sich Erdogan bis zu den Wahlen, aber auch am Wahlabend noch einiges einfallen lassen“, vermutet der Türkei-Kenner.
Erdogan wird sein Amt „nicht sang- und klanglos“ räumen
Er gehe jedenfalls nicht davon aus, „dass Erdogan, der nun über 20 Jahre an der Macht ist, sang- und klanglos sein Amt räumt“. Dafür stehe für Erdogan zu viel auf dem Spiel. Das mache die Abstimmung zu einer Schicksalswahl für die Türkei. Letztlich sei die Kernfrage für die Türkei bei der Wahl: „Will sie zurück zu einer parlamentarischen Demokratie oder will sie das autokratische System weiter fortsetzen?“
Erdogan werde versuchen, hier sein Regime weiter aufrechtzuerhalten. Er sei damit nicht alleine. Nicht nur könne er auf die Unterstützung der rechtsextremistischen MP zählen, auch die sogenannte Türkische Hisbollah – eine höchstradikale Organisation, die sich zu einer Partei gebildet hat – setzt sich für dieses Bündnis ein.
„Das heißt: Hier sind radikale Kräfte mit am Spiel. Rechtsradikale, islamistische Akteure, die nur darauf warten, dass gesellschaftliche Konflikte entstehen, um das Land zu destabilisieren, um Erdogan dann letztlich auch einen Vorwand zu geben, zu intervenieren“, so der Politikwissenschaftler.
Der 74-järhige Erdogan-Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu symbolisiere hingegen den Saubermann: „Er ist kein korrupter Mensch. Er ist ein höchst loyaler, aufrichtiger und ehrlicher Politiker. Und das ist auch das, was viele Menschen derzeit erwarten. Jemand, der versucht das Land aus der Wirtschaftskrise herauszuholen, gegen Korruption ankämpft und auch den Menschen eine Hoffnung bietet.“ Er sei jedoch auf die pro-kurdische Partei HDP angewiesen, die letztlich der Königsmacher sei.