Düsseldorf.
„Garzweiler“ galt in der nordrhein-westfälischen Landespolitik lang als Chiffre für Koalitionsknatsch. Den Interessengegensatz von SPD und Grünen beim Thema Braunkohleabbau im Rheinischen Revier verkörperten Politiker wie Norbert Römer und Reiner Priggen. SPD-Mann Römer arbeitete mehr als 30 Jahre lang für die Gewerkschaft IGBCE, stammt aus Castrop-Rauxel und ist das, was man im Ruhrgebiet „auf Kohle geboren“ nennt. Der Grüne Priggen ist Diplom-Ingenieur aus Aachen und hob 1995 unter Schmerzen die erste rot-grüne Koalition in NRW aus der Taufe.
„Wir standen uns beim Thema Garzweiler lange gegenüber“, bekannte Römer gestern. Heute sind beide Landtagsfraktionschefs ihrer Parteien und erklärten harmonisch, was lange undenkbar schien: Die rot-grüne Landesregierung verkleinert das Braunkohle-Abbaugebiet „Garzweiler II“. Statt bis 2045, wie es der Braunkohleplan 1995 noch vorsah, ist die Förderung des Rohstoffs nur noch bis 2030 gesichert. Ein bevorstehender Umsiedlungsbeschluss für 1600 Menschen im nördlichen Teil von Erkelenz im Kreis Heinsberg wird zwar bekräftigt, einen weiteren für 1300 Bewohner im südlichen Bereich rund um das Dorf Holzweiler stoppten die Koalitionäre jedoch.
Noch nie wurde in Deutschland die Abbaugrenze eines genehmigten Braunkohletagebaus zurückgenommen. Die Landesregierung hat offenbar das Recht dazu, weil sich die „energiepolitischen Grundannahmen“ verändern können. Geräuschlos wurde die Entscheidung vorbereitet. Die Ausbaupläne bei den Erneuerbaren Energien im Zuge der Energiewende und die ehrgeizigen Reduktionsziele für den Klimakiller CO2 ließen NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) leichter auf die Wünsche des grünen Koalitionspartners eingehen.
„Wir wollen Verlässlichkeit in alle Richtungen“, sagte Kraft. Auch sie hält die massenhafte Umsiedlung von Menschen für unzumutbar, wenn nicht gesichert ist, in welchem Umfang Braunkohle nach 2030 überhaupt noch benötigt wird. So nannte es Kraft einen „guten Kompromiss“, den Menschen im nördlichen Abbaugebiet klar zu sagen, dass die Umsiedlungspläne des RWE-Konzerns für den Abbau ab 2023 Bestand haben. Ein formeller Beschluss wird im April gefasst. Zugleich erhalten die Bürger des Dorfes Erkelenz-Holzweiler im Süden frühzeitig Gewissheit, dass ihre Häuser nicht mehr weggebaggert werden. Wie es insgesamt mit der Braunkohle weitergeht, soll 2015 in einer „neuen Leitentscheidung“ formuliert werden.
Diese frühzeitige Festlegung auf eine Beschneidung des Abbaugebietes hält RWE für fatal. „Bereits heute Ziele zu formulieren, die die Abbaugrenzen für Garzweiler infrage stellen, halten wir für falsch“, sagte RWE-Chef Peter Terium. Bei dem angeschlagenen Essener Energiekonzern fragt man sich, welchen Sinn eine rot-grüne „Leitentscheidung“ im Jahr 2015 noch ergeben soll, wenn die bisherigen Umsiedlungspläne bereits heute durchkreuzt werden. Die Braunkohle-Gewinnung und –Verstromung gibt laut RWE in NRW rund 35 000 Menschen Arbeit. Im Zuge der Energiewende ist Braunkohle zudem absehbar – auch dank des laxen Emissionshandels – die wirtschaftlichste Stromquelle für die Tage ohne Sonne und Wind.