Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum haben festgestellt, dass in den Nachkriegsjahren viele Alt-Nazis beim Verfassungsschutz beschäftigt waren.
Berlin/Bochum.
Drei Jahre lang haben zwei Wissenschaftler der Universität Bochum beim Verfassungsschutz nach NS-Spuren gesucht. Zwar machten sie einige Cliquen von Alt-Nazis aus, aber der Präsident des Kölner Bundesamts, Hans-Georg Maaßen, kann mit dem Befund leben. Denn die Kontinuität zu den NS-Geheimdiensten war eher dünn und das Amt auf dem rechten Auge auch nicht blinder als andere Behörden.
Nach Bundeskriminalamt (BKA) und Bundesnachrichtendienst (BND) geht Maaßen Donnerstag in Berlin in die Offensive. Die Bochumer Professoren Michael Wala und Constantin Goschler sollen das Geheimnis des Dienstes lüften, das System zweierlei Mitarbeiter in den Nachkriegsjahren: unbelastete Angestellte, die zur Legende des Neuanfangs passten, und frühere Leute von Gestapo oder SS, die mit falschen Namen, bei Tarnfirmen oder Landesbehörden aktiv waren, aber in Wahrheit vom Bundesamt bezahlt wurden. In Köln verstand man es damals trickreich, den Schein zu wahren.
BKA-Führung bestand anfangs zum Großteil aus ehemaligen SS-Leuten
Schon für einen Zwischenbericht im Jahr 2013 gaben Wala und Goschler die Zahl der früheren NS-Mitarbeiter beim Verfassungsschutz in den 50er-Jahren mit 205 an – rund 13 Prozent. Zum Vergleich: Die Führung des BKA bestand damals zu 70 Prozent aus ehemaligen SS-Leuten. Unter den Sicherheitsbehörden waren die Verfassungsschützer die Nachzügler. Viele Nazis hatten schon bei BKA und BND einen Job gefunden.
Hinzu kam, dass die Alliierten „bis hin zur Putzfrau“ alle Bewerber überprüften. Sie wollten sichergehen, dass keine Angehörigen des Sicherheitsdienstes (SD), von SS und Gestapo eingestellt wurden. Zum „Quellcode“ (Wala) des Amts gehörte es, keine politische Polizei entstehen zu lassen. Die Kehrseite war, dass man kaum „saubere“ kompetente Bewerber fand. Die Amerikaner seufzten, das Amt sei ein „dumping ground“, ein Abladeplatz für abgehalfterte Mitarbeiter anderer Behörden.
Also ließ man sich etwas einfallen. Bald heuerten die alten Nazis als freie Mitarbeiter an. Das gilt für Erich Otto Wenger, der bis 1935 zur „Leibstandarte SS Adolf Hitler“ gehört hatte; für Walter Odewald, seit 1937 Mitglied der SS. Oder für Paul Opitz, der von der Gestapo kam. Gustav Halswick, ein früherer SS-Sturmbannführer, baute ein Scheinunternehmen auf, die Firma „Dokumentenforschung“, wo man die Freien bezahlen und sozial absichern konnte. Selbst das Finanzamt war eingeweiht; kein Steuerprüfer sollte den Schwindel aufdecken.
Sozial abgesichert und geachtet
Die Parallelwelt wurde erst 1956 aufgelöst. Nachdem die Kontrolle durch die Alliierten aufgehoben worden war, wurden viele freie Mitarbeiter eingestellt und machten Karriere. Sie waren dort angekommen, so Wala, wohin sie gestrebt hatten: „Sozial abgesichert, von den Kollegen als erfolgreich geachtet und in einem Metier, in dem sie ihre Erfahrungen aus der Zeit vor und nach 1945 einbringen konnten.“
Dass die Amerikaner das übersahen, ist unwahrscheinlich. Vom Schriftverkehr und den Fernschreiben des Verfassungsschutzes bekamen sie Kopien. Offensichtlich, vermutet Wala, wollten sie nicht die fragwürdigen Gestalten missen. Denn sie waren Profis, sie lieferten, was gewünscht war: Erfolge der Spionageabwehr. Es war die Hochzeit des Kalten Krieges, der Anti-Kommunismus heiligte die Auswahl der Mitarbeiter.