Künftig sollen Güter vor allem auf Schienen transportiert werden. An der wichtigen NRW-Strecke „Betuwe“ aber stockt der Ausbau seit Jahren. Streitpunkte sind Lärm und Sicherheit
Essen.
Eine der wichtigsten Nord-Süd-Verbindung im europäischen Schienengüterverkehr führt mitten durch NRW: Auf rund 1300 Kilometern verläuft der Korridor Rotterdam-Genua, über den knapp die Hälfte aller Güter zwischen Nord- und Südeuropa bewegt werden. Bis 2020 soll diese Leistung deutlich ausgebaut werden – die Schweizer haben deshalb 17 Jahre lang den neuen Gotthard-Eisenbahntunnel durch die Alpen gebohrt, die Niederländer bis 2007 neue Schienen aus dem Landstrich Betuwe zur deutschen Grenze geführt. Ab da, in der Region Rhein-Ruhr, läuft es indes weniger rund.
Die bisher zweigleisige Betuwe-Anschlussstrecke soll ab Emmerich als einer der letzten Engpässe auf dem Handelskorridor zu einer 73 Kilometer langen, dreigleisigen Hochleistungsgüterbahntrasse bis Oberhausen ausgebaut werden. Täglich sollen darüber an die 180 Güterzüge mit einer Länge von bis zu 800 Metern fahren. Doch seit 24 Jahren hakt die Planung. Bürger, Städte und Deutsche Bahn AG streiten sich über Lärmschutz und Sicherheitsstandards. Das Nachsehen hat die Logistikbranche, die schnellere Schienenwege benötigt.
Zahlreiche Baustellen erwartet
Anders als in den Niederlanden teilen sich hier Güter- und Personenverkehr die Gleise. Damit Güterzüge auf der Strecke Oberhausen-Emmerich nicht wie bisher auf die Bremse treten müssen, plant die Bahn dutzende Kilometer neue Schienen zu verlegen. Viele Baustellen stehen bevor: 47 Brücken werden um- oder neu gebaut und 55 Bahnübergänge geschlossen, so dass Güter- und auch Gefahrengutzüge auf 160 Stundenkilometer beschleunigen können.
Da das 1,5 Milliarden Euro teure Mammutprojekt als Neubau gilt, steht die Bahn mit Schallwänden und Sicherheitsstandards in der Pflicht – und da kommen Bürger wie Gert Bork ins Spiel. Der Weseler vertritt sechs Bürgerinitiativen der Anrainerstädte mit tausenden Betroffenen. Sie werfen der Bahn vor, den 1992 vereinbarten Betuwe-Ausbau erst auf die lange Bank geschoben zu haben und nun am Lärmschutz zu sparen und zu niedrige Sicherheitsstandards einzuplanen. „Wir wollen den Ausbau nicht verhindern“, sagt Bork. „Aber wenn eine Bahnstrecke für 100 Jahre geplant wird, sollte es anständig gemacht sein.“
Feuerwehren fordern besseren Zugang zu Schienen für den Notfall
Betuwe-LinieDie Bahn weist die Kritik zurück, den Ausbau verschlafen zu haben. Betuwe sei ein Großprojekt mit zahlreichen Beteiligten, die Abstimmung aufwändig. Erst 2013 habe zudem Klarheit über die Finanzierung bestanden. Bei Lärmschutz und Sicherheit halte man sich an Vorgaben. Beispiel Sicherheit: Eine Richtlinie zum Katastrophenschutz schreibt auch die Breite und Häufigkeit von Türen in den Lärmschutzwänden vor, durch die Rettungskräfte bei einem Unfall auf die Gleise kommen – mindestens 1,60 Meter breit, mindestens alle 1000 Meter.
Das reiche nicht, kritisieren die Feuerwehren. Sie haben ein eigenes Sicherheitskonzept erarbeitet und mahnen: Ohne diese Mindeststandards können sie ihre Arbeit nicht machen.
Die Betuwe und der Gotthard
Über 700 Kilometer Schiene trennen die Rhein-Ruhr-Region vom Schweizer Eisenbahntunnel Gotthard. Im Juni eröffnet, liegt er auf der gleichen Trasse wie die Betuwe. Anwohner aus NRW fürchten, der Tunnel habe hörbare Folgen, sagt Gert Bork: „Schon jetzt hat der Güterverkehr auf der Betuwe-Strecke zugenommen. Durch den Tunnel wird es mehr.“
Eine Bahn-Sprecherin weist das zurück. „Wir gehen davon aus, dass es durch den Gotthard-Tunnel zu keiner spürbaren Erhöhung der Zugzahlen kommt“. Denn aktuell könnten gar nicht noch mehr Züge über die Betuwe-Strecke fahren. „Sie ist an ihrer Kapazitätsgrenze.“ Die Zahl der Züge sei seit Jahren konstant: 2015 seien 102 Güterzüge am Tag gezählt worden – erst mit dem geplanten Strecken-Ausbau würden es 186 Züge am Tag. Ein Drittel der Züge wird laut Bund Ziele in der Region anfahren.
Allerdings ist bisher nicht klar, wer die Mehrkosten von geschätzt 40 Millionen Euro für höhere Sicherheitsstandards bezahlt. Der Streit spitzte sich jüngst zu: Oberhausen klagte vor einigen Monaten am Leipziger Bundesverwaltungsgericht gegen das Eisenbahnbundesamt, das der Bahn nach langem Planungsprozess grünes Licht für den Baubeginn gegeben hatte.
Rotterdam ist ein wichtiger Partner des Duisburger Hafens
Über die Klage ist noch nicht entschieden. Während an verschiedensten Stellen in Berlin und NRW verhandelt und diskutiert wird, mahnt Ansgar Kortenjann von der Niederrheinischen IHK zur Eile. Betuwe sei für die im Ruhrgebiet wichtige Logistikbranche entscheidend: „Bis 2030 sollen die Gütermengen an den Seehäfen um 40 Prozent steigen. Die Containerschiffe werden aber immer größer, der Liegeplatz teurer. Deshalb verlagert sich die logistische Veredlung zunehmend ins Hinterland.“ Dort werden Container umgeladen – etwa am Duisburger Hafen.
Rotterdam ist der bedeutendste Partner des Duisburger Hafens. Jeder fünfte Container, der in Duisburg umgeschlagen wird, komme aus Rotterdam, heißt es am Hafen. Kann der Güterverkehr über die Betuwe schneller fließen, werde diese Menge steigen. Gerade deshalb ist Verdruss groß. Hafen-Chef Erich Staake wetterte jüngst, einige wenige Aktivisten verhinderten den Betuwe-Ausbau: „Die Schweizer mit ihrem gigantischen Gotthard-Tunnel amüsieren sich wahrscheinlich über uns.“ Die Bürgerinitiativen von Gert Bork forderten dafür eine Entschuldigung von Staake – der Streit geht weiter.