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Kopfmensch Kutschaty und die Affäre Hinz

Kopfmensch Kutschaty und die Affäre Hinz

Düsseldorf. 

Als Thomas Kutschaty im vergangenen Jahr mit dunkler Hornbrille und markantem Vollbart aus den Sommerferien kam, sorgte das in der Düsseldorfer Landespolitik für Aufsehen. Der NRW-Justizminister galt bis dahin nicht als Kandidat für „Hipster“-Moden oder äußerliche Statements. Vielmehr pflegt der 48-Jährige Essener eigentlich eine Unauffälligkeit, eine Kultur der Zurückhaltung und des Abwägens, die ihn weit gebracht haben.

In der Affäre um die Lebenslauf-Lügen der Bundestagsabgeordneten Petra Hinz stößt Kutschatys Politikstil gerade an Grenzen. Nach sechs Jahren im Justizminister-Amt, in denen er vieles richtig gemacht hat und zum wichtigsten U50-Politiker der NRW-SPD aufsteigen konnte, unterlaufen ihm ungeahnte Fehler. Wie konnte es dazu kommen?

Die fünfte Sitzungsstunde

Kutschaty verfügt über gute Nerven. Wenn im Rechtsausschuss das Landtags die fünfte Sitzungsstunde anbricht und die Diskussion sich im Kreis dreht, erklärt es der Justizminister mit seiner tiefen Radiostimme und der geduldigen Freundlichkeit eines Reiseführers eben noch einmal. „Meine Damen und Herren, wie Sie vielleicht wissen…“, leitet er dann seine Sätze unverdrossen ein. In Live-Interviews formuliert Kutschaty druckreif. Doch er weiß zugleich, wann er sich auf ein Manuskript verlassen muss, redet nie drauflos.

Als Ministerpräsidentin Hannelore Kraft den dreifachen Familienvater vor sechs Jahren zum Minister berief, hatte ihn niemand auf dem Kandidatenzettel. Der Rechtsanwalt aus Essen-Borbeck saß erst seit 2005 im Landtag und war bis dahin allenfalls als umsichtiger Vorsitzender eines Untersuchungsausschusses in Erscheinung getreten. Vielmehr hatte er das Kunststück vollbracht, in der seit Jahrzehnten skandalerprobten Essener SPD die gesamte Hühnerleiter von der Bezirksvertretung bis in die Berufspolitik hochzuklettern, ohne sich in lokalen Lagerkämpfen aufzureiben. Mit ihm kann man ein „Borbecker Dampfbier“ trinken, ohne dass er sich in kumpeligen Kommunalfilz einbinden lässt. Er ist loyal, scheut jedoch Allianzen.

„Er beherrscht die Kunst der zielstrebigen Unauffälligkeit“, heißt es über ihn in Düsseldorf. Kutschaty nahm 2005 dem lange allmächtigen Essener Parteipatron Willi Nowack den Landtagswahlkreis ab, als dieser wegen Insolvenzverschleppung schon auf dem absteigenden Ast war. Kutschaty war zur Stelle, als Kraft 2010 nur mit Mühe Minister für das heikle Projekt Minderheitsregierung fand. Kutschaty umgab sich im Ministerium schnell mit exzellenten Juristen, die ihm aufschrieben, wie man aus dem Amt mehr machen kann als eine Erklärstelle für Gefängnisausbrüche.

Unternehmensstrafrecht, härtere Strafen für illegale Autorennen, Klartext in der Böhmermann-Affäre, Verfolgung von Internet-Mobbing – Kutschaty ist es gelungen, mit allerlei rechtspolitischen Offensiven in Erscheinung zu treten. Mit zusätzlichen Stellen für Richter und Staatsanwälte macht er sich zudem im Apparat Freunde. So rückt man in den Kreis der raren Hoffnungsträger der NRW-SPD auf.

Kutschaty hatte die Niederungen der zerstrittenen Essener SPD längst hinter sich gelassen, als ihm im Mai der Vorsitz angetragen wurde. Die Genossen hatten sich im Streit um den glücklosen SPD-Oberbürgermeister Reinhard Paß mal wieder zerlegt, die einst rote Hochburg Essen kläglich an die CDU verloren und obendrein wachsenden Unmut der Basis über die Flüchtlingskrise unterschätzt. Heraushalten ging nun nicht mehr.

Endlich wieder ein Fachvortrag

Dass der Kopfmensch Kutschaty mit den Bauch-Debatten der Parteibasis fremdelt, zeigt sich schmerzlich in der Affäre Hinz. Obwohl er weiß, dass man eine Bundestagsabgeordnete nicht zur Rückgabe ihres Mandats zwingen kann, ließ er sich zu einem 48-Stunden-Ultimatum drängen. Obwohl er weiß, dass Parteiordnungsverfahren eine Affäre nur verlängern, hetzte er Hinz die Schiedskommission auf den Hals.

Nächste Woche darf Thomas Kutschaty wieder einen Fachvortrag vor Juristen in Dortmund halten. Endlich.