An Rhein und Ruhr.
Auf ihrem Ratinger Gymnasium war Hilal Bulut eine der sehr guten Schülerinnen. Mit ihren langen, braunen Haaren zog sie die Blicke der Jungs auf sich. Am 16. Oktober 2012 verschwand das türkische Mädchen spurlos. Die verzweifelten Eltern schalteten die Polizei ein, veröffentlichten Suchanzeigen, klebten Plakate, baten die Tochter um ein Lebenszeichen: „Bitte, melde dich!“
Es ging nach quälendem Warten mehr als ein halbes Jahr später endlich ein. Hilal rief aus Syrien an. Sie war dort die Frau eines islamistischen Kämpfers geworden. Der 18-jährige Salafist hatte schon im Rheinland um sie geworben. Ihm zu Liebe hatte sie sich verschleiert, die strenge Muslim-Lebensweise angenommen und das deutsche Abitur abgebrochen. Jetzt erwartete die Tochter der Buluts ein Baby.
Froh waren die Eltern, einerseits. Ihr Kind lebte also. Besorgt sind sie seitdem, andererseits. Ihr Kind lebt in einem Bürgerkrieg, in dem bisher mehr als 150 000 Menschen gestorben sind, darunter mindestens fünfzehn aus Deutschland ausgereiste Islamisten.
Propagandisten fordern ihre„Geschwister zum Kampf auf“
Hilal Bulut, glauben die Verfassungsschützer in Nordrhein-Westfalen, war eine der ersten jungen Mädchen und Frauen, die sich den Dschihadisten angeschlossen haben und ins Kampfgebiet gezogen sind. Seither sind die „Dschihad-Ehen“ fast ein Normalfall geworden. Zwanzig Begleiterinnen aus Städten und Gemeinden an Rhein und Ruhr (u.a. aus dem Raum Bonn, aus Wuppertal und Dinslaken) sind nach den Beobachtungen der Behörden mit ihren meist genau so jungen Männern die 4000 Kilometer nach Syrien gereist.
Syrien ist nicht Afghanistan, wohin Islamisten meist in kleinen, abgekapselten Männercliquen gezogen sind. In den sozialen Netzwerken Facebook, YouTube und Twitter fordern die Propagandisten ausdrücklich „zur Unterstützung der Geschwister in Syrien im Kampf gegen das ungläubige Regime“ auf und beziehen damit die Frauen ein. Auch ist Syrien leichter auf dem Landweg zu erreichen, oft mit dem Auto über die Türkei. Die Grenze ins Kriegsgebiet ist offen wie ein Scheunentor.
Syrien, so stellt das Bundesamt für Verfassungsschutz in einer internen Analyse fest, ist inzwischen der „mit Abstand attraktivste Dschihad-Schauplatz für kampfwillige Islamisten“, für den auch viel intensiver geworben werde als für Afghanistan.
Was sich fast jeden Tag bestätigt: Seit zwei Tagen suchen die Sicherheitsbehörden in Düsseldorf erneut nach einer jungen Frau.
Die Suche wird erschwert, weil ein ihr zugeordnetes Video inzwischen aus dem Netz genommen wurde. Sie soll im Februar NRW verlassen und vor wenigen Tagen in der Gegend von Aleppo geheiratet haben.
In dem Internet-Video steht sie verschleiert und mit einem Kalaschnikow-Sturmgewehr vor der Kamera. Ist sie dort also im Kampfeinsatz?
Hier sind die deutschen Fahnder offenbar sicher, dass es sich vielfach um Drohposen handelt. Man gehe eher davon aus, dass die begleitenden Frauen in den Unterkünften für „logistische Aufgaben“ und die Organisation des Alltags eingesetzt werden, heißt es im nordrhein-westfälischen Innenministerium. Dagegen kommen Männer, die „Löwen“, meist rasch in den Kampfeinsatz – und ans Sterben.
Vielleicht liegt es aber am Charakter der jungen Dschihadistinnen oder an der Gemeinschaft, in die sie geraten. Die 16-jährige Sarah aus Konstanz, die vor wenigen Monaten wie Hilal aus Ratingen ihre Schulausbildung schmiss und zum Entsetzen ihrer Eltern mit dem Freund und Werber nach Mittelost zog, „wird an der Waffe ausgebildet“, sagt das Landeskriminalamt in Baden-Württemberg. Sie selbst twittert: Ihr Alltag sei „Schlafen, essen, schießen lernen, Vorträge anhören“.