Als führende Politiker stehen sie im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Wie sie jenseits der Scheinwerfer leben und arbeiten, ist bislang Privatsache. Jetzt plauderte ein Bekannter aus, dass Jean-Claude Juncker, Anwärter auf das Amt des Kommissionschefs, „ein störrischer Raucher und Trinker“ sei.
Brüssel.
Es war eigentlich nur ein launischer Schlenker: In einer Talk-Show des holländischen Fernsehens machte Finanzminister Jeroen Dijsselbloom ein paar launige Bemerkungen darüber, wie spartanisch es unter seiner Leitung bei den Treffen der Euro-Gruppe zugehe: nix zu trinken, nix zu essen. Bei seinem Vorgänger, dem Luxemburger Jean-Claude Juncker, sei das noch anders gewesen. Der aber sei ja auch „ein störrischer Raucher und Trinker“.
Auch wenn das kaum Dijsselblooms Absicht war – seither ist die Alkohol-Frage enttabuisiert. Juncker sah sich umgehend zu einem offiziellen Dementi genötigt: „Ich habe kein Alkohol-Problem.“ Als Bewerber um das Amt des Kommissionschefs in Brüssel wird er sich wohl weiter wehren müssen.
Denn in seiner Heimat lebt Juncker schon lange mit einschlägigen Anwürfen, die dort auch ungeniert veröffentlicht werden. Die Knatter-Postille „Luxemburg Privat“ hat aus ruppigen Artikeln über den „Suff-Premier“ ein Markenzeichen gemacht.
Juncker gilt als europapolitische Leitfigur
Sonderlich geschadet hat es dem Politiker bisher nicht. Aus der Luxemburger Wahl im vergangenen Herbst, die ihn nach gut 18 Jahren das Amt des Ministerpräsidenten kostete, waren die Christsozialen mit ihm an der Spitze erneut als Sieger hervorgegangen. Abdanken musste Juncker nur, weil sich sein sozialdemokratischer Koalitionspartner umorientierte.
Ohnehin hat Junckers promillehaltiger Ruf nie die Anerkennung für seine Leistungsfähigkeit verdüstern können. Der 59-Jährige gilt als herausragende europapolitische Leitfigur, führte neben der Regierung Luxemburgs acht Jahre lang die – in der europäischen Finanzkrise tonangebende – Formation der Finanzminister der Euro-Länder und steht als „Schwarzer“ mit stark rötlichem Schimmer auch jenseits der eigenen Parteifamilie in Europa in hohem Ansehen.
Sozialdemokratischer Spitzenmann Martin Schulz ist seit 1980 „trocken“
Juncker, wenn es dazu kommt, wäre nicht der erste Kommissionspräsident, dem ein enges Verhältnis zu geistigen Getränken nachgesagt wird. Sein Landsmann Jacques Santer, Chef der EU-Zentrale in den Jahren 1995 bis 1999, musste sich in Anspielung auf seine Vorliebe für Wein den Spitznamen „Président Sancerre“ gefallen lassen. Und selbst Jacques Delors, die Lichtgestalt unter den Kommissionschefs der Vergangenheit, war im eigenen Hause nicht sicher von Witzeleien, in denen die Vokabel Fernet Branca eine Schlüsselrolle spielte.
Erklärtermaßen ein Alkoholproblem hat Junckers potenzieller Hauptgegner im Kampf um das Amt des künftigen Kommissionspräsidenten, der designierte sozialdemokratische Spitzenmann und derzeitige Präsident des Europa-Parlaments Martin Schulz. Der Aachener hat sein Problem allerdings längst im Griff – und er geht damit auch offensiv um. Die Geschichte ist nachzulesen auf Schulzes Web-Seite: In jungen Jahren ein schwerer Trinker, schaffte der heute 58-Jährige 1980 kurz vor dem drohenden beruflichen und privaten Ruin die biografische Wende. Seither ist Schulz „trocken“.